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Kurzrezension »Die Verwirrung der Gefühle«
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Über Avec amour et Acharnement von Claire Denis (2022)
Von Andreas Jacke
Das ist kein Film, den Denis nicht bereits in ähnlichen Formen gemacht hätte, schon die drei Hauptdarsteller sind allesamt sehr vertraut, mit allen hat sie schon gearbeitet. Dennoch ist Avec amour et acharnement ein außergewöhnlicher Film. Claire Denis konfrontiert ihre Betrachter*innen stets mit einer Negativität – einer Gefahr, die die Berührung und Liebe, die im Zentrum ihres haptischen Berührungskinos stehen, zerstören könnte und oft genug auch zerstört. Dass dieser Film durchgängig auf die Pandemie hinweist, passt natürlich in ihr Körperkonzept, weshalb auch das Atmen (in Anspielung auf J. L. Godards À bout de souffle 1960) thematisiert wird.
Das Negative, die große Gefahr, besteht darin, dass der ehemalige Partner François (Grégoire Colin), die Ehe von Sara (Juliette Binoche) mit ihrem Mann Jean (Vincent Lindon) zerstören könnte. Die Subversion des Seitensprungs ist seit Stefan Zweigs glänzender Novelle Angst (1910) alles anderes als ein neues Thema. Auch das der spätere Ehemann Jean der Gute und François der Böse, erinnert in dieser Ménage-à-trois an Thomas Hardys Tess von den d’Urbervilles (1891), der zu Recht zu den frühen kanonischen feministischen Romanen gerechnet wird.
Die Story ist demnach nicht neu, die Darsteller sind es ebenso wenig, was neu ist: Es gelingt Denis mit ihrem Körperkino dieses Geschichte ganz auf der Ebene der körperlichen Anziehungskräfte zu vermitteln. Diese Form der Wahlverwandtschaften, um es mit Goethe zu benennen, resultiert aus einer Charakterschwäche. Es sind demnach nach Walter Benjamin, die natürlichen Kräfte des Schicksals, die alles bestimmen. Wenn sich Sara beim ersten Auftritt von François eine blaue Decke über den Kopf stülpt, erkennt man worum es geht: Sie sieht dann tatsächlich aus wie die Jungfrau Maria. Berührung, Verschmelzung und Zärtlichkeit auf der einen Seite (mit Jean) – subversive, misogyne Erotik gipfelnd in einen Coitus a Tergo auf der anderen (mit François). Denis bleibt ihrer christlichen Version der Begehrensproblematik treu, die Jean-Luc Nancy schon in den 90er Jahren aufgefallen war.
Auch die Streitszenen sind außergewöhnlich. Wie zärtliche Liebe in blanke Wut und Eifersucht umschlagen kann, wird so sehr präzise gezeigt. Und dabei kommt Denis ohne Sensationen aus. Die ständige Sorge, die Jean um seinen Sohn Marcus (Issa Perica) hegt, kennt man aus anderen Filmen der Regisseurin, in denen die Vaterschaft oft wichtiger war als die Mutterschaft. Emigrationspolitik wird hier immer am Rande mitverhandelt. Besonders schön ist der Schluss: Die Liebe im Zeitalter des Handys ist einfach dann vorbei, wenn das Gerät kaputt geht ...
Zugegeben, der Film lässt sich Zeit, aber die braucht er auch, um zu funktionieren. Aufgrund seines ungewöhnlichen Stils immer noch eine absolut innovative Erfahrung, wenngleich auch sehr Französisch. Mit Niklas Luhmann: Es geht mehr um typisch französische Liebe als Passion im Bereich der Sexualität, als um die englischen Pflichten der Ehe. Der längst verdiente Preis auf der Berlinale für die Regie ging zu Recht an Denis.
Hier finden Sie Andreas Jackes Rezension als Video.
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