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Nachruf zum Tode von Hartmut Radebold (1935–2021)

Am 17. September 2021 ist nach kurzer schwerer Krankheit Hartmut Radebold, einem der Gründungsväter von Psychotherapie im Alter (PIA), verstorben, nur wenige Tage nach seiner ebenfalls schwer erkrankten Frau Hildegard. Dieser fast gleichzeitig eingetretene Tod ist auch Ausdruck einer über 60-jährigen Ehe, die durch ein Maß an Verbundenheit und Liebe gekennzeichnet war, die in dieser Form wohl nur selten anzutreffen ist. Beide sind dem Tod offenen Auges begegnet und haben ihn angenommen, als er nicht mehr zu vermeiden war. Auch in dieser letzten Phase hat Hartmut Radebold den Mut und die Unerschrockenheit an den Tag gelegt, die ihn bereits in seiner beruflichen Laufbahn ausgezeichnet haben. 

Hartmut Radebold war ein großer Impulsgeber, hat Entwicklungen angestoßen und gegen alle Widerstände auf den Weg gebracht. Immer wieder hat er erzählt, wie er belächelt, ja angefeindet wurde, als er bereits als junger Arzt und in psychoanalytischer Ausbildung in den 1960er Jahren begann, ältere Menschen psychotherapeutisch zu behandeln. Doch er hat sich nicht beirren lassen, auch später nicht, als er das Thema ›Kriegskindheit‹, das ihn zeitlebens nicht losgelassen hat und dem er sich nach seiner Emeritierung ganz verschrieb, nicht nur in die Fachöffentlichkeit, sondern auch in eine breitere Öffentlichkeit getragen hat. Aus seinem eigenen persönlichen Hintergrund hat er dabei nie einen Hehl gemacht. Die Bombenangriffe, die er in Berlin miterlebt hatte, die folgende Flucht aufs Land, die erneute Flucht vor der anrückenden Front und trotz aller Gefahren überlebt zu haben, das hat ihn ein Leben lang geprägt. Er hat diese Erfahrungen zu seinem wissenschaftlichen Thema gemacht, ohne die persönliche Dimension je zu leugnen. Gerade dadurch haben seine Beiträge, etwa das erste Buch über die abwesenden Väter, im Jahre 2000 bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienen, eine so unwiderstehliche Wirkung erlangt. Darin schreibt er sehr freimütig von einer Reise mit seinem damals 21-jährigen Sohn in die Wüste, wo ihn die eigene Geschichte einholte, und er immer mehr verstummte und zunehmend Wachträume und wehmütige Erinnerungen an den eigenen Vater in ihm aufstiegen. Der Vater, den er kriegsbedingt kaum erlebt hatte, sprach fließend Arabisch und wollte 1939 zu Forschungszwecken in die große arabische Wüste aufbrechen, was durch den Ausbruch des Krieges verhindert wurde. Diese Reise holte Hartmut Radebold gewissermaßen mit dem eigenen Sohn nach, ein Erlebnis, das sein weiteres Schaffen prägte. Die Glaubwürdigkeit, die er in diesem Buch vermittelt, und die Authentizität, die auch in seinen Vorträgen spürbar war, trugen dazu bei, andere in seinen Bann zu ziehen und so viele von uns mitzunehmen auf den Weg, sich auf die deutsche Geschichte und ihre Folgen einzulassen, die sich eben auch und gerade in dem geschützten Raum des Behandlungszimmers zeigen. Sein Werk war nie nur ›trockene‹ Wissenschaft, es war eine lebendige, durch persönliche Erfahrungen untermauerte Wissenschaft, die zudem immer auch eine politische Wirkkraft entfaltete; denn als er das Thema ›Kriegskindheit‹ aufgriff, wollte davon in der breiten Öffentlichkeit kaum jemand etwas hören. Er hat es geschafft, diesem Thema Gehör zu verschaffen. 

Zusammen mit dem schon 2014 verstorbenen Johannes Kipp hat Hartmut Radebold auch diese Zeitschrift Psychotherapie im Alter mit viel Engagement, Ideenreichtum und Leidenschaft auf den Weg gebracht. Ich erinnere mich an ein Gespräch im Jahre 2003, in dem wir erstmals über die Gründung einer Zeitschrift diskutierten, die sich mit Alterspsychotherapie befassen sollte; ein Projekt, dass im Jahre 2004 tatsächlich realisiert wurde. Nun aber müssen wir den weiteren Weg ohne die beiden Gründungsväter gehen. Inzwischen sind viele neue und junge Gesichter hinzugekommen, die heute für PiA verantwortlich sind und dafür sorgen, dass sie ein wichtiges Forum in einem wachsenden klinischen Feld bleiben wird. Auch wenn neue Wege beschritten werden, so lebt doch der Geist der Gründungsväter fort. Hartmut Radebold hat sich schon vor Jahren aus der aktiven Mitarbeit zurückgezogen, ist jedoch bis vor Kurzem ein wichtiger Ratgeber und Begleiter geblieben, den wir in Ehren halten werden. Lieber Hartmut Radebold, wir danken Dir für alles, was Du uns mit auf den Weg gegeben hast. 

Um die Bedeutung Hartmut Radebolds für unser Fach zu würdigen, werden wir ihm im kommenden Jahr ein ganzes Heft widmen.

Meinolf Peters, für das PiA-Herausgeberteam

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