Aktuelles
Tilmann Moser feiert seinen 80. Geburtstag
Tilmann Moser (*1938)
körperorientierter Psychoanalytiker und Autor
zahlreicher Fachpublikationen zum Thema Psychoanalyse und
Körperpsychotherapie, seelischer Nachwirkungen der NS-Zeit und
repressiver Religiosität
Werdegang
Humanistisches Gymnasium, Studium der
Literaturwissenschaft, danach Studium der Soziologie, Promotion über
Jugendkriminalität. Journalistische Ausbildung in Stuttgart, Ausbildung zum Psychoanalytiker
am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt. 1969–78 Dozent dort am Fachbereich
Jura. Seit 1978 private Praxis in Freiburg. Arbeitsschwerpunkte: Psychoanalyse
und Spätfolgen des Dritten Reiches, Psychoanalyse und Körperpsychotherapie;
Psychoanalyse und religiöse Störungen. Umfangreiche Fortbildungen in
Körperpsychotherapie mit Integration von Psychoanalyse und Körperarbeit.
Der Kampf um den Körper
Moser kommt aus streng protestantischem Elternhaus in katholischer
Diaspora. Die verehrten Hausgötter waren Albert Schweizer, noch höher gehängt
Martin Luther, der Bekenner und Reformator. Dass der Vater schwer
körperbehindert war, kompensierte der Junge durch frühen Leistungssport. Der
Körper blieb Thema, wenn auch im Beruf sehr spät: Die orthodoxe Psychoanalyse
wiederholte die Unkörperlichkeit in der zunächst verehrten Sprachkur, als deren
Missionar sich Moser fühlte. Die Ausbildung verschaffte eine solide
theoretische Kenntnis und Kompetenz im Deuten und in der Einfühlung, doch sie
milderte in Hunderten von Stunden nicht die schwere Depression, die ihn immer
wieder in psychotherapeutische Kliniken führte. Erst eine Reihe von
Zusatzausbildungen in verschiedenen Formen der Körper- und Gestalttherapie
führten zu einer Gesundung und veränderten seine berufliche Praxis: Die Halt
gebende Berührung und die Inszenierung der Konflikte der Patienten führten zu
einer Vertiefung des therapeutischen Prozesses, da so auch die vorsprachlich
organisierten Störungen in den unbewussten Körpererinnerungen zugänglich
wurden. Dafür war aber eine lange körpertherapeutische Selbsterfahrung
notwendig, um die große leibliche Nähe zum Patienten in einer anderen Form der
Abstinenz förderlich nutzen zu können. Die Abstinenz der klassischen Form der
Psychoanalyse verbot Berührung wegen der angeblichen Gefahr der Manipulation
und der Sexualisierung der Beziehung. Mosers Erweiterung des analytischen
Setting führte zu jahrzehntelangen Kämpfen mit der
therapeutisch-institutionalisierten Gemeinschaft der Psychoanalyse und der orthodox
orientiert bleibenden Kollegenschaft. Hier war der reformatorisch-lutherische
Mut zum Durchhalten von großem Nutzen. Sein Kampf wurde unterstützt durch die
Zugehörigkeit zu einer kleinen Gruppe von Analytikern, die sich durch die
Einbeziehung des Körpers auf einen ähnlichen Weg der Erweiterung der
therapeutischen Möglichkeiten machten. Was den Ärzten selbstverständlich ist:
Die forschende und heilende Berührung des Körpers bleibt in der klassischen
Psychoanalyse bis heute ein Tabu. Ein missbrauchender Umgang in der ärztlichen
Praxis mit Patienten führte dort zu den bekannten kriminellen Entgleisungen. In
der Psychoanalyse mussten Kollegen aus den Verbänden entlassen werden, weil sie
gravierend gegen die Abstinenz verstoßen hatten. Eine Verschärfung des
Berührungsverbots war die Folge. Moser publizierte nicht nur seine durchdachte
und teilweise mitprotokollierte Lehranalyse in dem Buch »Lehrjahre auf der
Couch«, sondern er schrieb auch einige große Fallberichte in Buchform über
seine neue körperanalytische Praxis, die hohe Auflagen erlebten.
Mit seinen achtzig Jahren arbeitet Moser therapeutisch
weiter mit verringerter Stundenzahl. Er genießt seine größere Gelassenheit,
Erfahrung und Kompetenz mit dem dankbar angeeigneten Leitsatz des berühmten
amerikanischen Psychiaters Irvin D. Yalom: Man muss für jeden Patienten seine
jeweils eigene Therapieform entwickeln, gegenüber einer oft genug doktrinär
gehandhabten Methodenstrenge der Psychoanalyse, die ein gläubiger Anhänger der
Orthodoxie einmal eine gotische Kathedrale genannt hat, an der nichts verändert
und erweitert werden dürfe.
Der Festvortrag anlässlich seines Geburtstages findet am Freitag, den 27. Juli 2018, in Freiburg statt.
Weitere Informationen dazu auch in unserem Veranstaltungskalender.