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Zum Tode Josef Shakeds

»Ein jugendliches Selbstbewusstsein schützte mich vor allzu quälenden Zweifeln. Aber hin und wieder kamen mir doch Bedenken, ob ich am richtigen Ort gelandet war.«


Zum Tode des jüdischen Psychoanalytikers und Gruppenanalytiker Josef Shaked
(Ungarn, 23.9.1929 – Österreich 21.11.2021)
Roland Kaufhold

Josef Shaked, in Ungarn geboren, in Israel aufgewachsen, dann Studium in den USA und Übersiedlung nach Österreich, war einer der ganz Großen der internationalen Gruppenpsychotherapie. Nun ist er im Alter von 92 Jahren in Österreich verstorben. Eine Erinnerung.

Josef Shaked, 1929 in Ungarn unter dem Namen Scharf geboren, überlebte als Kleinkind nur mit äußerstem Glück: Seine jüdische Familie emigrierte mit ihm bereits Anfang der 1930er Jahre nach Palästina, wo sie ihren Namen sogleich in den hebräischen Namen Shaked umbenannten. Sie lebten in der jüdisch-arabischen Stadt Haifa, was ihn prägte. Für seinen Vater war der Abschied von Europa endgültig, er sprach nur noch Ivrith. Der in Entstehung begriffene, bedrohte jüdische Staat war die neue Heimat der Shakeds.

Josef Shaked begeisterte sich, im Geiste des jüdischen Psychoanalytikers und jugendbewegten zionistischen Theoretikers Siegfried Bernfeld, bereits als Jugendlicher gleichermaßen für Sigmund Freuds Schriften wie auch für den Marxismus. Freud las er bereits mit 15. Josef Shaked machte in Israel Abitur und kämpfte im 1948er Unabhängigkeitskrieg, war also an der Staatsgründung Israels unmittelbar beteiligt.

1951, mit 22 Jahren, mittellos, ging er nach New York, studierte dort Biochemie. Dieses Studium schloss er 1955 mit dem Bachelor of Science ab. Seine zahlreichen Tätigkeiten, mit denen er seinen Lebensunterhalt im multikulturellen New York sicherte, stärkten sein Interesse für soziale und gruppendynamische Prozesse. Sein eigentliches inneres Interesse galt jedoch weiterhin der Freudschen Psychoanalyse. Im Alter deutete er sein eigenes Verlassen Israels auch als eine Form des Rebellentums gegenüber seinem religiösen und wohl nationalistisch orientierten Vater. 

1955: Übersiedlung nach Wien
Nach vier Jahren, 1955, dann ein weiterer scheinbarer Bruch: Der 26-jährige Josef Shaked hatte kein Geld, vermochte die Lebensunterhaltskosten in New York nicht mehr aufzubringen. Die europäische Geschichte war ihm nicht unvertraut, auch verstand er wohl zumindest bruchstückhaft deutsch. Nach Deutschland konnte er als Israeli nicht gehen, das untersagte ihm schon sein israelischer Pass mit der Inschrift »Alle Länder der Welt außer Deutschland«. Shaked siedelte nach Österreich über, in das Land Sigmund Freuds, aus dem  alle jüdischen Psychoanalytiker zwei Jahrzehnte zuvor fliehen mussten (Kaufhold 2003), einige von ihnen wurden auch von den Deutschen ermordet. Bei ihren nicht-jüdischen psychoanalytischen Kollegen in Deutschland und Österreich fanden sie hierbei jedoch nahezu keine Unterstützung – auch wenn der wirklichkeitsferne Mythos des »freiwilligen Austritts« bis heute fortwirkt (Kaufhold & Hristeva 2021).

Josef Shaked studierte Medizin in Wien, musste vor allem jedoch noch einmal »richtig« Deutsch lernen; er musste sich die Sprache »im Selbststudium erst mühsam aneignen«. (Shaked 2011, S. 17) Zur Finanzierung seines Studium unterrichtete er privat Englisch und an mehreren Schulen Hebräisch und jüdische Religion, »schließlich fand ich mich in der Funktion als Schulinspektor der Kulturgemeinde, mit der ich ansonsten wenig zu tun hatte, wieder.« (ebd.)

Immer wieder beschlichen ihn Zweifel, ob er als Jude wirklich »am richtigen Ort gelandet sei«, wie er einmal schrieb. Jedoch »schütze mich« Mitte der 1950er Jahre »wohl ein gewisses jugendliches Selbstbewusstsein vor allzu quälenden Zweifeln. Aber hin und wieder kamen mir doch Bedenken.« Das Studium der Medizin des Mittellosen an der Universität Wien dauerte 1955 bis 1966 Medizin; 1966 promovierte Josef Shaked zum Dr. med.

Schon während seines Studiums absolvierte er eine psychoanalytische Ausbildung, die er 1969 abschloss. Seine Facharztausbildung für Psychiatrie und Neurologie absolvierte er von 1966 bis 1972 in der Nervenheilanstalt Klosterneuburg-Gugging. 1972 eröffnete er eine Arztpraxis. Sein wissenschaftliches Interesse hielt er dennoch aufrecht und übernahm über Jahre Lehraufträge an der Wiener und der Salzburger Universität.

Die Leitung von Großgruppen wurde zu seiner Lebensaufgabe, seiner professionellen Identität, ihr widmete er sich über Jahrzehnte, auch im internationalen Kontext. Sein Ansehen als Gruppenanalytiker wuchs durch sein professionelles Engagement so sehr an, dass er ab 2007 gemeinsam mit Wolfgang Martin Roth zum Herausgeber des »Österreichischen Jahrbuches für Gruppenanalyse« ernannt wurde.

Shaked hatte bei dem in den 1960er und 1970er Jahren renommierten Igor Caruso seine psychoanalytische Ausbildung gemacht. Als Jahrzehnte später, ab 2008, Carusos berufliches Wirken in der NS-Zeit und die Frage von dessen Beteiligung an den Kindermorden in der damaligen Jugendfürsorgeanstalt »Am Spiegelgrund« öffentlich sowie in der kleinen psychoanalytischen Szene Österreichs sehr kontrovers debattiert wurde bezog Shaked eine klare Position: Die Wurzeln der Psychoanalyse in Österreich lägen »in den Trümmern und Gräbern des Nationalsozialismus vergraben.«

Wien, daran wurde Shaked immer wieder schmerzhaft erinnert – was er dank seiner professionellen Ausbildung jedoch scheinbar seelisch abzuwehren vermochte – war nicht nur die Stadt Freuds und Herzls, sondern auch die von Lueger und Adolf Hitler. Die Auseinandersetzung mit diesem toxischen, verbrecherischen Erbe, dies blieb für den in Israel Aufgewachsenen eine lebenslange Herausforderung. Er diente als Jude auch in seiner professionellen Tätigkeit ganz gewiss häufig als Projektionsfläche nicht nur für Antisemitismus, sondern auch für Ansprüche der historischen Schuldentlastung, die in der österreichischen Gesellschaft wie auch in standespolitischen Selbstentlastungsversuchen verwurzelt sind (Kaufhold & Hristeva 2021).

In seiner 2011 vorgelegten Autobiografie Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse (s.u.) legte der 82-jährige, als arrivierter Facharzt für Psychiatrie, Neurologie sowie als Lehr- und Gruppenanalytiker, seine autobiografischen und gruppenpsychotherapeutischen Erfahrungen nieder. Hierin beschreibt er auch seine Analysen des katholischen und rechtsradikalen Antisemitismus, zu dem er in Österreich mit seinen rechtsradikalen Parteien mehr als ausreichend Studienmaterial vorfand, ohne sich hierdurch existentiell betroffen zu fühlen.

Um sein gruppentherapeutisches Wirken zu veranschaulichen sei aus seinem 1998 gehaltenen Vortrag bei einem Kongress der Individualpsychologen – überschrieben mit: „»Die Großgruppe« – zitiert:
„Von Versuchen in den zwanziger und dreißiger Jahren abgesehen, erhielt die analytische Gruppentherapie erst in den vierziger Jahren entscheidende Impulse, die nicht zuletzt durch die große Anzahl von Kriegsneurotikern in der britischen Armee im Zweiten Weltkrieg begünstigt wurden. Was aus der Not entstanden war, erwies sich im Laufe der Zeit als eine Tugend, da sich herausstellte, dass die Gruppe selbst ein therapeutisches Medium bildet. Der anhaltende Widerstand vieler Analytiker trug dazu bei, dass die Gruppenanalyse sich fast überall außerhalb der psychoanalytischen Vereine entwickelte und zu einer selbständigen Methode wurde, die zunehmende Anerkennung fand. (…) Halten wir zum Schluss fest, dass uns die Erfahrungen mit analytischen Großgruppen tiefere Schichten des psychischen Erlebens zugänglich machen als Kleingruppen in ihrer Reproduktion der Kindheitsneurose. Darin scheint mir vor allem die Berechtigung für die Abhaltung von Großgruppen in Ausbildungssituationen zu liegen.«

Shakeds Freundschaft mit Ernst Federn
Als Autor bin ich Josef Shaked vereinzelt begegnet, so in seinem 1994er Aufsatz Der Name Federn in der Psychoanalyse. Shaked war nahezu der ersten Analytiker, der über den jüdischen KZ-Überlebenden Ernst Federn – mit dem er befreundet war – verständnistief schrieb und dessen Emigrations- und Rückkehrer-Vita als Überlebender hierbei zugleich mit Federns Familienbiografie verband. Er zeichnet in seiner Studie den Werdegang seines 15 Jahre älteren psychoanalytischen und politischen Freundes (vgl. Federn 2014, Kuschey 2003) im Detail und kenntnisreich nach, der als Sohn des Freud-Stellvertreters Paul Federn zugleich zutiefst mit der psychoanalytischen Bewegung (Ernst Federn) verbunden war.

Shaked schrieb: Paul Federns »Sohn Ernst Federn hat die Auswirkungen des ungesunden Nationalismus am eigenen Leib erlebt. Als Student wurde er 1936 als illegaler Revolutionärer Sozialist und Trotzkist – wohl in Rebellion gegen seinen sozialdemokratischen Vater – von der Universität relegiert und zweimal mit insgesamt elf Monaten Gefängnis bestraft. Beim Einmarsch der Nationalsozialisten in Wien wurde er sofort von der Gestapo verhaftet und über Dachau ins Konzentrationslager Buchenwald verschickt. Die wahnhafte und sadomasochistische Welt des KZ konnte er dank seiner bemerkenswerten Überlebensfähigkeit und günstigen Umstände, vor allem dank der Zuwendung seiner bemerkenswerten Braut und späteren Ehefrau Hilde, überstehen.« (Shaked 1994, S. 99)

Und wenig später führt Josef Shaked über Ernst Federns Psychologie des nationalsozialistischen Terrors (Federn 2014, Kaufhold 2001, Kuschey 2003) aus: »Aus seinen Ausführungen lässt sich schließen, daß zum Überleben in der Welt des KZ auch die Fähigkeit gehört, die Mechanismen des Terrors zu erfassen, die Fähigkeit sich in die Psyche der SS-Wachmannschaften zu versetzen, und die Fähigkeiten zur extremen Anpassung einschließlich der weitgehenden Ausschaltung der eigenen Persönlichkeit. Um zu überleben muß sich der Häftling im KZ seelisch totstellen. Dies wäre auch eine Anpassung an das Ziel der SS, die Persönlichkeit der Häftlinge auszulöschen als Vorstufe zur physischen Vernichtung. Wem es allerdings gelang der physischen Vernichtung mittels dieser Selbstverleugnung zu entgehen, scheint über bessere Chancen zum Überleben verfügt zu haben.« (Shaked 1994, S. 100)

So verwunderte es nicht, dass Shaked den Wiener Historiker Bernhard Kuschey bei dessen Abfassung seiner monumentalen Ernst Federn-Biografie (Kuschey 2003) als psychoanalytischer Supervisor unterstützte und begleitete.

An den von der Wiener Psychotherapeutin Evelyn Böhmer-Laufer seit 20 Jahren organisierten Peace Camps mit österreichischen, israelischen, palästinensischen und ungarischen Jugendlichen beteiligte sich Josef Shaked gemeinsam mit seiner Ehefrau Susanne so lange, wie ihm das altersmäßig möglich war. Seinen israelischen Pass hat der vertriebene Jude Josef Shaked stets behalten. Ohne diesen Sicherheitspfand hätte er wohl nicht in Wien bleiben und dort arbeiten können, über so viele Jahrzehnte.

Literatur
- Federn, E. (2014): Versuche zur Psychologie des nationalsozialistischen Terrors. (Hg.: Roland Kaufhold). Gießen: Psychosozial-Verlag.
-Kaufhold, R. (2001): Bettelheim, Ekstein, Federn: Impulse für die psychoanalytisch-pädagogische Bewegung, Psychosozial-Verlag, Gießen.
- Kaufhold, R. (2003): »Wo wäre die Psychoanalyse in Wien heut?« Spurensuche zur Geschichte der die USA emigrierten Wiener Psychoanalytischen Pädagogen. In: Aichhorn, T. (Hg.) (2003): Geschichte der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung I. 1938 - 1949, Luzifer-Amor, 16.  Jg., H.  31, 2003, S. 37-69. 
- Kaufhold, R. & G. Hristeva (2021) »Das Leben ist aus. Abrechnung halten!« Eine Erinnerung an vertriebene jüdische Psychoanalytiker, Psychoanalyse im Widerspruch H. 66/2021: Vernichtung, Verschwörung, Verleugnung, Gießen: Psychosozial Verlag
- Kuschey, B. (2003): Die Ausnahme des Überlebens – Ernst und Hilde Federn. Gießen: Psychosozial-Verlag.
- Roth, W. M. (2010): Josef Shaked, Helga Felsberger (Hrsg.): Die analytische Großgruppe: Festschrift zu Ehren von Josef Shaked (= Österreichisches Jahrbuch für Gruppenanalyse. Bd. 4). Facultas, Wien.
- Shaked, J. (1994): Der Name Federn in der Psychoanalyse, in: Werkblatt Nr. 33, 2/1994, S. 96-102.
- Shaked, J. (2001): Vorwort. In: Igor A. Caruso: Die Trennung der Liebenden: Eine Phänomenologie des Todes. Wien 2001.
- Shaked, J. (2011): Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse. Gießen: Psychosozial-Verlag.

Ein Leben im Zeichen der PsychoanalyseJosef Shaked
Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse
EUR 39,90

Auf dem Hintergrund seines beruflichen Werdegangs beleuchtet der Autor die entscheidenden theoretischen Entwicklungen der Psychoanalyse, zeigt deren gegenwärtige Tendenzen auf und diskutiert die teils vehemente Kritik an ihr. Besonderes Augenmerk gilt der Geschichte, Theorie und Praxis von analytischen Klein- sowie Großgruppen, die durch ihre gesellschaftspolitische Dimension den Rahmen von Psychotherapie erweitern. [ mehr ]

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Versuche zur Psychologie des nationalsozialistischen TerrorsErnst Federn
Versuche zur Psychologie des nationalsozialistischen Terrors
Herausgegeben von Roland Kaufhold
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»Federns unorthodoxe Beschreibungen und Analysen, die mit den allzu einfachen Zuordnungen von Gut und Böse brechen, zeigen, was psychisch mit den Menschen geschehen ist, nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren, um verhindern zu helfen, daß es noch einmal dazu kommt.« Achim Perner, Arbeitshefte Kinderpsychoanalyse [ mehr ]

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Roland Kaufhold
Bettelheim, Ekstein, Federn: Impulse für die psychoanalytisch-pädagogische Bewegung
EUR 29,90

Die Studie bietet auf der Grundlage biografisch-historischer Forschungen über Leben und Werk der emigrierten österreichischen jüdischen Psychoanalytiker und Pädagogen Bruno Bettelheim, Ernst Federn und Rudolf Ekstein eine neue Sicht der Geschichte der psychoanalytischen pädagogischen Bewegung sowie neue Orientierungen im Grenzbereich von Pädagogik und Psychoanalyse. Diese Tradition wurde durch den Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich vernichtet, überlebte im amerikanischen Exil im Werk von Federn, Bettelheim und Ekstein und wurde von diesen seit den 70er Jahren zurück nach Europa gebracht. [ mehr ]

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Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie Heidelberg-Mannheim und Heidelberger Institut für Tiefenpsychologie (Hg.)
Psychoanalyse im Widerspruch Nr. 66: Vernichtung, Verschwörung, Verleugnung
Nr. 66, 2021, Heft 2
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Das Heft Nr. 66 sucht nach den historischen und zeitgenössischen realen, psychischen und psychodynamischen Gegebenheiten, die Ausgrenzung und letztlich Vernichtung möglich mach(t)en. [ mehr ]

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Bernhard Kuschey
Die Ausnahme des Überlebens
Ernst und Hilde Federn. Eine biographische Studie und eine Analyse der Binnenstrukturen des Konzentrationslagers (2 Bände)
EUR 49,90

Im Überlebenskampf Ernst Federns in den KZ Dachau und Buchenwald und Hilde Federns im Kriegs-Wien werden der nationalsozialistische Terror und die Möglichkeiten des Widerstands begreifbar. In Buchenwald ist Ernst Federn zwischen die Fronten der vernichtenden SS und der, im Interesse des eigenen Überlebens mit der SS kooperierenden, kommunistischen Kapos geraten. Da er dennoch überlebte, konnte er zu einer wichtigen Quelle über das komplizierte Lagerleben werden. [ mehr ]

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