Angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen sowie der Nationalratswahl in Österreich veröffentlichen wir an dieser Stelle die beiden Offenen Briefe von Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen aus Deutschland und Österreich, die Rechtsextremismus entgegentreten.

Rechtsextremismus entgegentreten und Menschenwürde sowie psychische Gesundheit schützen – Offener Brief von PsychologInnen und PsychotherapeutInnen

In Anbetracht der bevorstehenden Europa- und Landtagswahlen möchten wir PsychologInnen und PsychotherapeutInnen auf die Gefahren für Demokratie und psychische Gesundheit hinweisen, die von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ausgehen. Diese politischen Strömungen fördern eine gesellschaftliche Atmosphäre, die durch Angst, Hass und Ressentiments geprägt ist und die Menschenwürde gefährdet. Dies wird z. B. durch die jüngsten Erklärungen von Arbeitgeberverband und IG-Metall (jeweils NRW), die die AfD als nicht wählbar bezeichnet, verdeutlicht.

Unsere berufliche Erfahrung zeigt, dass rechtsextreme Ideologien durch ausgrenzende und menschenfeindliche Rhetorik und Handlungen die seelische Not vieler Menschen verschärfen. Rechtspopulisten arbeiten mit »Freund-Feind-Stereotypen« und verfolgen ein nationalistisch-rassistisches Weltbild, das Ausgrenzung und Menschenverachtung fördert. Diese Ideologien destabilisieren die psychische Gesundheit, indem sie das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit verstärken, was die psychische Gesundheit und Resilienz untergräbt. In Zeiten von Krisen fühlen sich viele Menschen bereits verletzlich und suchen nach Identität und Sicherheit, was sie für die manipulativen Botschaften der Rechtsextremen empfänglich macht.

Rechtsextreme nutzen diese emotionale Verwundbarkeit, um eine ethnisch-nationalistische Gruppenzugehörigkeit zu beschwören, die ein Gefühl der Überlegenheit und Wirkmächtigkeit erzeugen soll. Dies wurde jüngst im Skandal um das Lied »Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!« auf einer Party in Sylt deutlich. Solche Vorfälle zeigen, wie rechtsextreme Ideologien in vermeintlich harmlosen Formen auftreten können. Die Reste eines demokratischen Gewissens werden durch eine mitreißende Stimmung in der Gruppe sowie durch einen menschenverachtenden Bierzelt- oder Party-Humor außer Kraft gesetzt.

Wir betonen, dass der von Rechtsextremen intendierte durch die »Identitäre Bewegung« verzerrte Identitätsbegriff eine Gefahr darstellt. Im Gegensatz dazu basiert der psychologische Identitätsbegriff nach E. Erikson auf einem ständigen psychosozialen Austausch, der das Erleben von Gleichheit und Kontinuität in der Zeit unterstützt und fördert: »Ich bin, wenn Du auch bist«. Die positive Form von Identität, welche auf der Anerkennung der Anderen auch in ihrer Differenz beruht, wird durch rechtsextreme Ideologien zu einem exkludierenden und destruktiven »Ich bin, wenn Du nicht bist« pervertieren.

Ein vielversprechender Ansatz, um die Psychologie des Rechtsextremismus besser zu verstehen, ist das Konzept des »epistemischen Vertrauens bzw. Misstrauens«. Diese Art von Vertrauen bezieht sich darauf, dass Andere (Personen und Quellen) relevante gesellschaftliche und kulturelle Zusammenhänge korrekt erklären können. Dieses Vertrauen hängt eng mit der Fähigkeit zum Mentalisieren zusammen – der Fähigkeit, sich in die innere Welt anderer hineinzuversetzen und die eigene innere Welt zu reflektieren. Ein Mangel an diesem wechselseitigen Einfühlungsvermögen führt zu Missverständnissen und Konflikten, die durch Rechtspopulisten ausgenutzt werden, um Misstrauen und Angst zu schüren.

Politik und Gesellschaft müssen diese psychologische Verfassung ernst nehmen und Strategien entwickeln, um Menschen emotional und kognitiv zu erreichen. Medien spielen dabei eine wichtige Rolle, indem sie die Bedeutung von Emotionalität und Psychologie im Rechtsextremismus betonen und so zu einem besseren Verständnis beitragen.

Wir sehen unsere Verantwortung darin, vor der Gefahr für Demokratie und Gesundheit zu warnen, die von der AfD und anderen rechtsextremen Gruppierungen ausgeht. Wir möchten auch aktiv zur Gestaltung dieses Prozesses beitragen und bieten unsere Expertise durch redaktionelle Beiträge, Kommentare, Interviews und Blogbeiträge an. Nicht nur das: wir planen auch konkrete Aktivitäten jeweils im Rahmen unserer persönlichen Möglichkeiten.

Nur gemeinsam können wir die psychischen und gesellschaftlichen Auswirkungen des Rechtsextremismus bekämpfen und eine demokratische und gesunde Gesellschaft fördern.

Der offene Brief ist initiiert durch:
Blum-Maurice Psychologin, Psychotherapeutin; Dr. H. Gephart Psychotherapeutin; Prof. Dr. U. Geuter Psychotherapeut; Prof. Emeritus Dr. J. Kriz Psychotherapeut; Prof. Dr. mult. C-H. Mayer Psychologin, Psychotherapeutin; A. Michelmann Psychotherapeutin; O. Univ. Prof. i.R. Dr. Klaus Ottomeyer Psychotherapeut; Prof. Dr. F. Simon Psychotherapeut; U. Sollmann Sozialpsychologe, Praxis für Psychotherapie; Dr. E. Wedekind Psychotherapeut; Prof. Dr. H.-J. Wirth Psychotherapeut;
und unterstützt durch eine Vielzahl von PsychologInnen und PsychotherapeutInnen.
Ansprechpartner / Kontaktadresse ist:
Dipl. rer. soc. Ulrich Sollmann/Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Den Rechtsextremismus verhindern: Offener Brief von PsychologInnen und PsychotherapeutInnen

Angesichts der bevorstehenden Nationalratswahl in Österreich und von kommenden Landtagswahlen in Deutschland möchten wir auf die Gefahr für die Demokratie und die psychische Gesundheit hinweisen, die vom Rechtsextremismus ausgeht. In Österreich würden derzeit etwa 30% der Befragten die FPÖ unter Herbert Kickl wählen. Wie die AfD in Deutschland unterstützt die FPÖ die Befürworter einer »Remigration« von eingewanderten Menschen. Die fremdenfeindlichen Aktivitäten und die Terminologie der »Identitären« mit ihrem Vordenker Martin Sellner wurden während der letzten Jahre immer offener geduldet und gefördert. Laut Kickl sind die Identitären ein »unterstützenswertes Projekt«. Sein EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky forderte Anfang April 2024 offenbar ohne jede Berührungsangst die Einsetzung eines »Kommissars für Remigration«.

Herbert Kickl bezeichnet sich bereits als »Volkskanzler« von Österreich und verspricht eine baldige »Erlösung« für die angeblich unterdrückte inländische Bevölkerung. Bernd Höcke von der AfD hat eine »wohltemperierte Grausamkeit« bei den geplanten Abschiebungen angekündigt. Kickl ist auf die Verspottung und Beleidigung von missliebigen Personen und Gruppen spezialisiert. In seiner Zeit als österreichischer Kurzzeit-Innenminister ließ er an den Erstaufnahmezentren für Flüchtlinge die Aufschrift »Ausreisezentrum« anbringen. In Bezug auf MitbewerberInnnen aus den etablierten Parteien äußert er sich einer Weise, die eine gezielte Entwürdigung von Menschen darstellt: RegierungspolitikerInnen sind für ihn der »Swingerclub der Machtlüsternen«. Sie gehören wie gesuchte Verbrecher auf eine »Fahndungsliste« und sind »Folterknechte«. Der Bundespräsident ist angeblich »senil« und »die Mumie in der Hofburg«, ein kritisierter prominenter SPÖ-Politiker ist eine »dicke, rote, fette Spinne«. Arbeitnehmer-VertreterInnen sind »alle dick, statt ausgemergelt«. Ein betagter ÖVP-Politiker wird aufgrund seines Äußeren mit Ötzi verglichen und mit einem »Verstorbenen, der nur noch zuckt«. Einen altgedienten grünen Spitzenpolitiker nennt er »das Grindigste überhaupt.« Ein parlamentarischer Aufdecker hat angeblich vom vielen Sitzen beim Aktenstudium schon »einen Hintern rot wie ein Pavian“ (Rede in Hartberg 23.9.2019). Wir sollten alle wissen, dass man so über Menschen nicht reden darf. Aber das Publikum ist von Kickl begeistert. Bevor sich die Restbestände des Gewissens melden, hat man schon auf Kosten anderer gelacht. Die Über-Ich-Demontage schreitet voran. Es geht hier vor allem um ein Body-Shaming, ein Herauslassen niedrigster Instinkte, die im zivilisierten Umgang zwischen Menschen sonst nur in der untersten Schublade zu finden sind. Viele WählerInnen der FPÖ haben sicher auch berechtigte Sorgen in Bezug auf die Krisen in unserer Gesellschaft. Aber zu ihrer Antwort darf kann nicht die Entwürdigung von Fremden und politischen Gegnern gehören.

Neben der Einladung zur Verfolgung von Minderheiten und zur Schadenfreude tragen die Rechtsextremen das vollmundige Versprechen von »Identität« vor sich her. Der Zusammenschluss von FPÖ, AfD und anderen rechtsextremen Parteien im Europäischen Parlament nennt sich »Identität und Demokratie«. Der Begriff der Identität ist für die meisten von uns positiv konnotiert. Er entstammt der Psychologie (Stichwort für Insider: E. H. Erikson) und breitete sich von dort ab dem Ende der 1960er Jahre im reformierten Bildungswesen und im allgemeinen Sprachgebrauch aus. Die von den Rechten versprochene Identität ist eine gefährliche Mogelpackung. Es wird so getan, als würde sich die Identität von Menschen ausschließlich durch eine bekenntnishafte Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder nationalen Großgruppe mit Überlegenheitsanspruch bilden. In der Tat spielt die Gruppenzugehörigkeit für die Entwicklung von Identität eine Rolle. Aber noch wichtiger ist die Fähigkeit, sich zwischen mehreren oft sehr verschiedenen Gruppenzugehörigkeiten kreativ zu bewegen, sich als Individuum mit seiner persönlichen Identität gegenüber dem aktuellen Gruppendruck auch immer wieder zu distanzieren, sich selbst kritisch zu reflektieren und auf diese Weise Autonomie und Selbstachtung zu entwickeln.

Was die Identitären vornehm klingend Identität nennen, ist eine grobe Bauernfängerei und würde eher die Bezeichnung Großgruppen-Narzissmus mit Überlegenheitsanspruch verdienen. Dieser ist psychologisch ungesund und führt fast zwangsläufig zum Projekt einer ethnischen Säuberung. In Deutschland haben Ende Februar 2024 die katholischen Bischöfe und Seelsorger die AfD zu einer Gefahr für die Menschenwürde und als unwählbar erklärt. Als PsychologInnen und PsychotherapeutInnen fühlen wir uns verpflichtet, vor der massiven Gefährdung von Demokratie und Gesundheit zu warnen, die von der FPÖ, der AfD und den Identitären ausgeht. – Helfen Sie mit, keine menschenverachtende, rechtsextreme Partei wie die FPÖ regieren zu lassen!

Der offene Brief wird unterstützt von:
Univ. Prof. i.R. Dr. Klaus Ottomeyer, Psychotherapeut, Psychologe / Dr. Erhard Wedekind Psychotherapeut, Psychologe / Dr.in Michaela Okorn, Psychotherapeutin, Psychologin / Univ. Prof. Dr. Johannes Reichmayr, Psychoanalytiker, Psychologe / Dr. Emilio Modena, Psychoanalytiker / Ulrich Sollmann, Körpertherapeut, Berater und Coach / Univ.-Prof. Dr. Gerhard Benetka, Psychologe / Univ. Prof. Dr.h.c. Josef Christian Aigner, Psychotherapeut, Psychologe / Dr. Gert Lyon, Facharzt für Psychiatrie, Psychoanalytiker / Univ. Prof. Dr. Helmut Dahmer, Sozialwissenschaftler, Sozialpsychologe / Dr. Theo von der Marwitz, Kinderarzt, Psychoanalytiker / Dr. in Adele Lassenberger, Psychologin, Psychotherapeutin / Dr. Daniel Wutti, Hochschulprofessor, Psychologe, Psychotherapeut und viele weitere UnterstützerInnen