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Buchreihe: Haland & Wirth
298 Seiten, Broschur, 148 x 210 mm
Erschienen: November 2018
ISBN-13: 978-3-8379-2816-7
Bestell-Nr.: 2816
Leseprobe

Doppelte Ungleichzeitigkeit

Die C.V.-Zeitung von 1925 bis 1933 - Zeitzeugnis eines Pionierprojekts postkolonialer Akkulturation

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Das deutsche Judentum der Weimarer Republik erlebte eine geistesgeschichtliche Verspätung, da es den nationalistisch und neoromantisch motivierten Wandel seiner Zeit größtenteils nicht mitvollzog. Statt an der zeitgenössischen Gesellschaft orientierten sich viele seiner VertreterInnen weiter an der deutschen Aufklärung. Gerade dieser Anspruch – ihre Gesellschaftskritik, verknüpft mit ausgeprägtem Minderheitenselbstbewusstsein – führte sie hinsichtlich ihrer Akkulturationsvorstellungen in eine Pionierrolle. Grundlage der Untersuchung ist eine Analyse der C.V.-Zeitung, Organ des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, die ein breites Spektrum von Meinungen abdruckt und sich als demokratisches Diskussionsforum bzw. als Zeugnis des Ringens um hierarchiefreie Pluralität lesen lässt.

Miriam K. Sarnecki beleuchtet das Verhältnis des Centralvereins, der größten deutsch-jüdischen Gruppe dieser Zeit, zu den anderen Gemeinschaften (Orthodoxie, Ostjudentum, Zionismus, Verband nationaldeutscher Juden) und gibt Einblick in den Wandel des Vereins, dessen Vertreter sich zunehmend säkularisieren und alternative Identitätsgrundlagen diskutieren. Ziel ist eine differenzierte Wahrnehmung des Diskurses um die Behauptung subkultureller Identität. Als Verfechter eines Akkulturationskonzepts, das selbstbewusste, postkoloniale Züge trägt, die ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus sind, kommen kritische Vertreter des Vereins dem Stand der heutigen Akkulturationsforschung bemerkenswert nahe.
Vorwort

Einleitung

1. Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens

1.1 Fünfundvierzig Jahre deutsch-jüdischer Abwehrund Bewusstseinsarbeit

1.2 Die C. V.-Zeitung: Organ und Diskussionsforum des Centralvereins

2. Aufklärungsarbeit und Antisemitismusabwehr

3. Auseinandersetzung mit Rassismus und Chauvinismus

3.1 Umgang mit Rassentheorien

3.2 Gesellschafts- und indirekte Kolonialismuskritik

4. Verhältnis zu anderen jüdischen Gemeinschaften in Deutschland

4.1 Identität mit jahrhundertealten Wurzeln: die Orthodoxie

4.2 Fremd und vertraut zugleich: das Ostjudentum

4.3 Separation als Ideal: der Zionismus

4.4 Kollektive Selbstverleugnung: der Verband nationaldeutscher Juden

5. Wandel des Selbstverständnisses und Entwicklung neuer Identitätsgrundlagen

6. Behauptung subkultureller Existenz durch Ablehnung von Taufe und Mischehe

7. Zusammenschau und Konklusion

Quellen und Literatur

Anhang

Begriffserklärungen

Leitende des Centralvereins und seiner Publikationsorgane

Biografien

Personenregister

Organisationenregister

Zeitschriftenregister

Dank

Die Autorin

»Es ist das Verdienst der Verfasserin, für den Untersuchungszeitraum 1925 bis 1933 kenntnisreich der titelgebenden These nachzugehen, der zufolge das ›Akkulturationsprojekt des Centralvereins […] sich […] als anachronistisch [erweist], jedoch nicht nur im Sinne einer ›Verspätung‹, mit der das deutsche Judentum an aufklärerischen Grundsätzen des 18. und 19. Jahrhunderts festhält, die im zeitgenössischen deutschen Umfeld längst unpopulär geworden sind, sondern zugleich im Sinne einer Vorwegnahme selbstbewusster Akkulturationsvorstellungen, die ihrer Zeit noch nicht gemäß sind‹ (S. 9–10)  ...«

Simon Sax, Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 22/2020

»Miriam K. Sarnecki (...) versteht ihre Arbeit nicht als eine im engeren Sinne historische, sondern als eine interdisziplinäre. Besonderen Wert legt sie auf eine hohe Dichte an Zitaten, um den Zeitgeist wiederzugeben (S. 35). Dies gelingt ihr zweifelsohne vor allem dadurch, dass sie häufig länger (bis zu zwei Druckseiten) und ungekürzt zitiert, so dass wir als Leser*innen einen lebendigen Eindruck von der Sprech- und Denkweise der einzelnen Autoren und Autorinnen bekommen. So ist es interessant zu lesen, in welchem Spannungsfeld sich der C.V. zwischen einer klaren Ablehnung des politischen Zionismus und der Verklärung Palästinas als Ort religiöser Sehnsucht bewegt  ...«

Yvonne Weissberg, Schweizer Zeitschrift für Geschichte (SZG), 70/2 (2020)