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Buchreihe: Imago
237 Seiten, PDF-E-Book, 148 x 210 mm
Erschienen: Juni 2012
ISBN-13: 978-3-8379-6525-4
Bestell-Nr.: 6525
https://doi.org/10.30820/9783837965254
Leseprobe

Justitia, Freud und die Dichter (PDF)

Rechtspsychoanalytische Betrachtungen literarischer Texte

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Ausgehend von literarischen Texten, wie William Shakespeares Der Kaufmann von Venedig oder Bernhard Schlinks Der Vorleser, geht der Autor mit psychoanalytischen Mitteln rechtlichen Fragen nach und eröffnet der Psychoanalyse so eine rechtliche Perspektive. Seine Analysen fördern unter anderem zutage, dass »Sozialisationsverbrechen«, die Kindern folgenschwere Schäden zufügen, häufig gesellschaftlich verleugnet werden, weshalb rechtlich nicht auf sie reagiert werden kann.

Psychoanalytisch betrachtet, entpuppen sich diese Abwehrvorgänge als Produkt unserer modernen Gesellschaft. Voraussetzung für eine »fördernde Umwelt« (Winnicott) wäre eine demokratische, Menschenrechte respektierende Kultur, in der es nicht länger notwendig ist, auf Schutzmechanismen wie Verleugnung und Projektion zurückzugreifen. Aus dem Dialog zwischen Recht, Psychoanalyse und Literatur ergeben sich Folgerungen für die soziale und politische Ordnung im demokratischen Rechtsstaat.

»Den Zusammenhängen von Kunst, Verbrechen und Psychoanalyse spürt der Autor im Kapitel über Shakespeares Hamlet nach, wobei ihn besonders interessiert, ob im Sinne einer positiven Generalprävention vom Theater eine kathartische Wirkung erwartet werden könne  ...«

Aldo Legnaro, Freiburger literaturpsychologische Gespräche. Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse, Bd. 33, 2014

»Ein wertvolles Buch, dessen differenzierte und schonungslose Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse verdeckte Konflikte offen legt. Die ausgewählten literarischen Texte spiegeln diese Konflikte in konzentrierter Form, welche Fabricius aufgreift und entschlüsselt  ...«

Dr. phil. Gernot Hahn, www.socialnet.de


Inhalt

1 Einleitung

2 Schuld und ihre empirischen Grundlagen
Franz Kafka:
Der Prozeß
2.1 Ist die Psychoanalyse für die Kriminalwissenschaften relevant?
2.2 Die prekäre Situation des Schuldprinzips
2.2.1 Die Entleerung des Schuldprinzips in der Strafrechtsdogmatik
2.2.2 Das Ignorieren des Schuldprinzips in der Kriminologie
2.2.3 Warum Kriminalwissenschaften auf das Schuldprinzip nicht verzichten müssen und nicht verzichten dürfen
2.2.3.1 Normative Konflikte: Widersprüchliche Anforderungen, Dilemmata und das Verbrechen als Ausweg
2.2.3.2 Die Bewältigung normativer Konflikte durch das Individuum verlangt ein »Inneres normatives System«
2.2.3.3 Entwicklung, Struktur und Funktionieren des Inneren normativen Systems sind der empirischen Forschung zugänglich
2.3 Schuld in der Psychologie/der Psychoanalyse
2.4 Ankerpunkt: Schuldgefühle als »Messinstrument«
2.4.1 Die Entwicklung der Schuldfähigkeit des Individuums
2.4.1.1 Über-Ich-Entwicklung: Einsicht ins Unrecht und Steuerungsfähigkeit
2.4.1.2 Das heteronome Innere normative System (InS)
2.4.1.3 Das autonome Innere normative System (InS)
2.4.1.4 Gewissensfreiheit
2.4.1.5 Meinungs- und Ausdrucksfreiheit
2.4.1.6 »Niemand kann mir sagen, was hier das Richtige ist« – Respekt vor dem anderen
2.4.1.7 Die soziale Organisation: Abwanderung und Widerspruch
2.4.1.8 Versöhnung
2.4.2 Die Wirkung der Strafe auf die Entwicklung des Inneren normativen Systems (InS)
2.4.2.1 Zum Begriff der Strafe
2.4.2.2 Wirkungen »zugefügter aversiver Reize«
2.5 Zur Unvereinbarkeit von Schuld und Strafe

3 Leib-Eigenschaften: Gestörte Entwicklung der Einwilligungsfähigkeit als Basis paternalistischer Eingriffe
William Shakespeare:
Der Kaufmann von Venedig
3.1 Einleitung: Habeas Corpus
3.1.1 Eigentum an Menschenfleisch
3.1.2 Paternalistische Elemente in der Demokratie
3.1.3 Einverleibungen und Leibeigenschaft
3.1.4 Die These
3.2 Störung der Entwicklung der Einwilligungsfähigkeit
3.2.1 Einwilligung und Einverständnis
3.2.2 Einwilligungsfähigkeit
3.2.3 Störung – Störung der Entwicklung
3.2.4 Zwei Modelle der Entwicklung, zwei Konzepte von Störung
3.2.4.1 Finanzen – Körper
3.2.4.2 Religion – Sex
3.2.4.3 Das Fremdbestimmungs- und das Selbstbestimmungsmodell der Entwicklung
3.2.5 Die zu Körpern gemachten Werte
3.2.5.1 Fleischeslust: Zärtlichkeit und Leidenschaft
3.2.5.2 Seelenleid und Körperpein: Das sündige Kind als elterliche Projektionsfläche
3.2.5.3 Entwicklung: Reifung im Übergangsraum
3.2.5.4 Fazit: Jede Entwicklung ist auch sexuell
3.2.5.5 Schande
3.3 Hilflose Lage und erlernte Hilflosigkeit
3.3.1 »Hilflose Lagen«
3.3.2 Erlernte Hilflosigkeit: Von einer guten Umwelt keinen Gebrauch machen können
3.4 Sozialisationsverbrechen
3.4.1 Ethnische Störung und entnanntes Verbrechen
3.4.2 Sozialisationswohltaten

4 »Er ist ja nur …«: Identität, Verrat und Recht
Khaled Hosseini:
Drachenläufer
4.1 Identität
4.1.1 Individuelle Identität
4.1.1.1 Biologische Identität und biologischer Individualismus
4.1.1.2 Gesellschaftlicher Individualismus, psychische Identität und konformistische Verallgemeinerung
4.1.2 Kollektive Identität
4.1.2.1 Kollektive Identität und kollektive Persönlichkeit
4.1.2.2 Phänomenologische Betrachtung kollektiver Identitäten: Inhaltliche und formale Aspekte
4.1.2.3 Funktionen
4.1.2.4 Prozeduren
4.1.2.5 Abwehrfunktionen kollektiver Identität und ihre individuellen wie kollektiven Kosten
4.1.3 Gegengifte
4.1.3.1 Multiple kollektive Identitäten
4.1.3.2 Verrechtlichung
4.2 Verrat
4.2.1 Ursprüngliches Verhältnis: Familie
4.2.2 Treueverhältnisse in der Umwelt
4.3 Recht

5 Die psychosexuelle Genese der Rechtlosigkeit
Clarice Lispector:
Die Sternstunde
5.1 Einleitung
5.2 Die Autorin und ihre inneren Objekte im virtuellen sozialen Raum
5.2.1 Klassenverhältnisse
5.2.2 Geschlechterverhältnisse
5.2.3 Generationenverhältnis
5.3 Konklusionen
5.3.1 Leerstellen
5.3.2 Aufruf zur Theoriebildung: Wahrheit der Dichtung, Zeit und Zeitlosigkeit
5.3.3 Theorie der Rechtsentstehung – nicht ohne Freud, nicht ohne Marx
5.4 Die Wahrheit des Rechts liegt in seinem alltäglichen Gebrauch
5.5 Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
5.5.1 Brüderlichkeit – Die Kunst, den Bruder zum Freund zu machen
5.5.2 Freiheit: nicht ferngesteuert, auch von innen nicht
5.5.3 Gleichheit – Die Kunst der vaterlosen Gesellschaft
5.5.4 Freiheit, Gleichheit, Solidarität unromantisch betrachtet
5.5.4.1 Edle Wilde? Angeborene Abwehrmechanismen gegen Unfreiheit, Ungleichheit und die panische Angst vor Ausschluss
5.5.4.2 Patriarchat und Sklaverei – Entsolidarisierung, Ungleichheit und Freiheitsbeschränkung auf großer Stufenleiter
5.5.4.3 Wenn wir alle gleich sind – wo ist Vater? Was es heißt, erwachsen zu sein
5.6 Programmatisches
5.6.1 Papa(mobil) in Technicolor – Fernsteuerung zu Entsolidarisierung, Unfreiheit, Ungleichheit
5.6.2 Freudomarx-Programm – Raubkopie der Dünndruckausgabe
5.6.3 Das Freudomarx-Programm weiterentwickeln

6 Die Zerstörung des Gemeinwesens durch individuelle und kollektive Abwehr
William Golding:
Herr der Fliegen
6.1 Einleitung
6.1.1 Die Geschichte – tendenziös nacherzählt
6.1.2 Methodisches Vorgehen
6.1.3 Theoretischer Hintergrund
6.2 Goldings Mikrowelt: dichte Beschreibung
6.3 Abwehr, Abgewehrtes und Regression
6.3.1 Traumata, aus der Vorzeit
6.3.2 Psychosoziale Abwehr
6.3.2.1 Menschlicher Makel und masochistisches Angebot: Piggy
6.3.2.2 Der isolierte, autonome Seher: Simon
6.3.2.3 Der auf dem Rahmen tanzt: Maurice, der Gaukler
6.3.2.4 Perversion
6.3.3 Carne, Krieg und Religion: Repressive Entsublimierung
6.3.3.1 Uniform und Karneval
6.3.3.2 Religion
6.3.3.3 Technik: Prometheus in dionysischem Gewaltrausch
6.3.3.4 Krieg
6.4 Modellvalidierung
6.5 Schlussbemerkung

7 Psychopathen auf die Bühne? Verbrechen, Kunst und Psychoanalyse
William Shakespeare:
Hamlet
7.1 Freuds Antworten
7.1.1 Der wesentliche Inhalt des Textes
7.1.2 Nicht abartig: Absage an den gemeinen Psychopathiebegriff
7.1.3 Wirkungen der Bühne und wie sie erzielt werden
7.1.3.1 Verderbliche Medien
7.1.3.2 Läuterungsprozesse am Zuschauer oder Patienten durch Dramatiker oder Psychoanalytiker
7.1.3.3 Reinigung der Affekte: Abfuhr oder Sublimierung
7.1.3.4 Freiheitsdurst – Verdrängen, unterdrücken oder Wege suchen, ihn zu stillen?
7.2 Tyrannenmord bei psychischer Gesundheit?
7.2.1 Der psychopathische Charakter der Charaktere
7.2.2 Staatsverfassung, Gesetz und Selbsthilfe
7.3 Bühnen und andere Spielräume
7.4 Positive Generalprävention durch Psychopathen auf der Bühne?

8 Entsinnlichung: Der alphabetische Fluch
Bernhard Schlink:
Der Vorleser
8.1 Einleitung
8.1.1 Der Vorleser – kurz nacherzählt
8.1.2 Gedankengang
8.2 Schädigung und Leidzufügung im Roman
8.2.1 Mögliche verbrecherische Handlungen von Hanna Schmitz
8.2.2 Freiheitsberaubung durch den Vorsitzenden Richter
8.2.3 Michael Berg
8.2.3.1 Beihilfe durch Unterlassen zur Freiheitsberaubung
8.2.3.2 Beteiligung an der Selbsttötung durch Nichthinderung
8.2.4 Fazit
8.3 Lesen, Sprechen, Schreiben
8.3.1 Vom Vorlesen und Verlesen
8.3.2 Analphabetismen
8.4 Kriminologie der Verbrechen im Roman
8.5 Die Unfähigkeit zur Diskontinuität
8.5.1 Aufklärungshindernisse
8.5.2 Kontinuierliche Konstanten
8.5.2.1 (Er-)Findung von »Schuldigen«
8.5.2.2 Überdauernde Merkmale von Institutionen
8.5.2.3 Induktion einer normotischen Störung
8.5.3 Gehorsam und Konformität in Institutionen als Quelle der Störung von Wahrnehmung, Unrechtsbewusstsein und Steuerungsfähigkeit
8.5.3.1 Recht, Gesetz und Institutionsnormen
8.5.3.2 Innere und äußere Normen – Befolgung und Bruch
8.5.4 Institution und Alphabetisierung
8.5.4.1 Schreibtischtäter
8.5.4.2 Akten
8.5.4.3 Vollstrecker: Täter vor Ort
8.6 Schlussbemerkung

Literatur

Register