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24 Seiten, PDF-E-Book
Erschienen: Juli 2024
Bestell-Nr.: 40630
https://doi.org/10.30820/0075-2363-2024-2-93
»Jahrbuch der Psychoanalyse«
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Wolfgang Hegener

Ein Moment der Überraschung - Mose am brennenden Dornbusch (PDF)

Theologische und psychoanalytische Überlegungen

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In einer der fundierenden Erzählungen der Hebräischen Bibel und überhaupt der monotheistischen Tradition, in der Geschichte von ›Mose am brennenden Dornbusch‹ (Ex 3,1–15), wird ein eminenter Moment der Überraschung thematisiert. Es kommt zu einer besonderen Begegnung zwischen dem zum Propheten beauftragten Mose und Gott, der sich erstmalig und unter einmaligen Umständen als ein daund mit-seiender Dialogpartner des Menschen offenbart. Eine eingehende Exegese und insbesondere eine Analyse der Namensoffenbarung (»Ich werde dasein, als der ich dasein werde.«) soll zeigen, dass dieser Gott sich fundamental von den polytheistischen Göttern unterscheidet und der menschlichen Verfügbarkeit entzogen bleibt. Diese Vorstellung wird in einem zweiten Schritt in Verbindung mit der Geschichte Freuds bzw. der Psychoanalyse sowie der Unverfügbarkeit des Unbewussten gesetzt. Freud war, damit die Psychoanalyse ins »gelobte Land der Psychiatrie« einziehe und der Verdacht zerstreut werden könne, sie sei eine »jüdische Wissenschaft«, in der Begegnung mit Jung bereit, essentials aufzugeben. Erst allmählich konnte er sich in der Wiederentdeckung der Figur des Mose, seiner jüdischen Herkunft und der Verwurzelung der Psychoanalyse in der jüdischen Tradition vergewissern. Ausgehend von der Dornbusch-Perikope könnte man nun sagen, dass die Psychoanalytikerin/der Psychoanalytiker nicht nur die Funktion des »Gesetzgebers« (Loch, 1974) einnehmen und für die Etablierung und Aufrechterhaltung von Rahmenbedingungen und Regeln einstehen muss, denen sie/er sich selbst auch unterstellt. Darüber hinaus muss sie bzw. er dafür Sorge tragen, dass das Unbewusste und das Un-Wissbare in seiner Unverfügbarkeit nicht durch Manipulationen und durch ›Wissen‹ eingeschränkt oder gar verunmöglicht wird. Die Psychoanalytikerin bzw. der Psychoanalytiker ist gleichsam beauftragt, eine Position einzunehmen, die eine Erfahrung möglich macht, die nicht vorhersehbar ist und sich nur in einem Moment der Überraschung offenbart.

Abstract:
In the story of ›Moses at the burning bush‹ (Ex 3,1–15), one of the foundational stories of the Hebrew Bible and the monotheistic tradition in general, an eminent moment of surprise is explored. A special encounter takes place between Moses, who has been chosen as a prophet, and God, who reveals himself for the first time under unique circumstances as one who exists and coexists in dialogue with man. Through a detailed exegesis, and in particular an analysis of the revelation of the name (»I will be as I will be.«), I intend to show that this God is fundamentally different from the polytheistic gods and is not available to humanity. In a second step, this idea is linked to the history of Freud and psychoanalysis, as well as to the unavailability of the unconscious. In order for psychoanalysis to enter the »promised land of psychiatry« and to dispel the suspicion that it was a »Jewish science«, Freud was prepared to sacrifice key elements in his exchange with Jung. Only gradually was he able to reaffirm his Jewish origins and the roots of psychoanalysis in the Jewish tradition by rediscovering the figure of Moses. Based on the pericope of the thorn bush, one could now say that the psychoanalyst not only has to assume the function of »legislator« (Loch, 1974) and be responsible for establishing and maintaining the general conditions and rules to which he or she is also subject. In addition, he or she must also ensure that manipulation and ›knowledge‹ do not limit or make impossible the availability of the unconscious and the unknowable. The psychoanalyst is, as it were, tasked with occupying a position that facilitates an experience that is not predictable and reveals itself only in a moment of surprise.