Langlebigkeit als kommerzielles Gesundheitsprodukt – bleibt das humanistische Menschenbild auf der Strecke?
Buchvorstellung und Diskussion mit Frank Schulz-Nieswandt und Friedrich Schorb
Die obsessive Sehnsucht nach dem »guten« Leben dominiert längst die Bereiche Gesundheit und Altern. Während Medizin und Technik in grellen Farben das Weltbild eines grenzenlos optimierbaren Selbst zeichnen, mutet die gesellschaftspolitische Wirklichkeit profaner und zugleich differenzierter an: Noch immer sind Fragen gesundheitlicher Vorsorge eng mit der eigenen sozioökomischen Lage verknüpft; noch immer lenkt die Macht des neoliberalen Individualismus von den sozialstrukturellen Problemen innerhalb der Versorgungslandschaft ab; noch immer herrschen Ausgrenzung und Diskriminierung in einem ungleichen Gesundheitssystem, das die Wenigen privilegiert und die Vielen zurücklässt.
In welchen Schattierungen lässt sich ein realistisches Zukunftsszenario zeichnen? Welche Rolle spielen medizinisch-technische Lösungsansätze (z.B. mit Blick auf den Einsatz der Robotik in der Altenpflege) künftig? Wird die ökonomische Ungleichheit innerhalb des Gesundheitssystems insgesamt beherrschbar? Welche Sozialreformen und infrastrukturellen Ansätze (auch und gerade im Feld kommunaler Daseinsvorsorge) sind denkbar? Und vor allem: Welche dem Menschen zugewandten Antworten finden wir auf die komplexen Fragen des sozialen Miteinanders? Frank Schulz-Nieswandt und Friedrich Schorb stellen sich dieser drängenden gesellschaftlichen Debatte im Gespräch mit Simon Scharf.
Kostenfreie Online-Veranstaltung via Zoom. Bitte melden Sie sich per Mail unter
Termin
22. Januar 2025, 19.00 Uhr
Die Bände des Abends
Healthismus
Friedrich Schorb legt die Schwachstellen eines schrankenlosen Gesundheitsdenkens in der Gesellschaft offen und zeigt, auf welche Weise die obsessive Beschäftigung mit Gesundheit selbst pathologisch geworden ist. Kritisch beleuchtet er dazu die kommerziell motivierten Heilsversprechen der Pharmaindustrie ebenso wie Gesundheitsreformen, die allein die Stärkung der Eigenverantwortung propagieren.
Die Zukunft des Alterns
Wie sieht das Altern in naher Zukunft aus? Frank Schulz-Nieswandt entwirft ein Zukunftsszenarium, das angesiedelt ist zwischen positiven, konkret-utopischen Hoffnungen des gelingenden Miteinanders und dystopischen Befürchtungen einer sich zuspitzenden Altersdiskriminierung. Als zentrale Aufgabe identifiziert er die Gestaltung einer nachhaltigen und effektiven Sozialraumentwicklung in der kommunalen Daseinsvorsorge.
Neue Buchreihe: Gegenwartsfragen
Die Menge akuter gesellschaftspolitischer Themen verlangt nach Orientierungshilfen. Unsere neue Buchreihe Gegenwartsfragen setzt hier an und schärft zeitdiagnostisch den Blick für das Hier und Jetzt. Sie hinterfragt den Status quo und erweitert gesellschaftspolitische Debatten um wichtige psychosoziale Dimensionen.
Die kurzen, eingängigen und gut lesbaren Diskussionsbeiträge beziehen kritisch Position, treiben die Auseinandersetzung mit den gegenwärtig wesentlichen Fragen kontinuierlich voran und sind damit in produktiver Weise irritierend.
Weitere Bände der Reihe:
Swipe, like, love
Fast jede zweite Beziehung beginnt virtuell. Tinder, OnlyFans oder Instagram sind die Orte, an denen Annäherung stattfindet, Sex angebahnt wird und Beziehungen geführt werden. Johanna L. Degen spürt der Bedeutung der verschiedenen Phänomene von Onlinedating bis Social-Media-Nutzung vor dem Hintergrund der gängigen Theorien von Intimität, Liebe, Sexualität und Beziehung nach und wendet den aktuellen Forschungsstand sowie Erkenntnisse aus der therapeutischen und paartherapeutischen Praxis auf diese Kontexte an.
Zwischen Eskalation und Selbstkontrolle
Das Internet mutiert gegenwärtig scheinbar zur Enthemmungsmaschine. Das Unkontrollierte eines enthemmten Ichs ist ohne die Kehrseite – Hemmung, Verdrängen, Ausweichen und Zensieren – aber undenkbar. Jacob Johanssen hinterfragt kritisch, kenntnisreich und am Puls gegenwärtiger Debatten eine vielfach vorgebrachte Zeitdiagnose.
Elend und Emanzipation
Seit der Aufklärung gilt das mit Ungleichheit und Gewalt verbundene Leid als überwindbar. Die Befreiung aus dem Elend wird zu einem emanzipatorischen Projekt. Gleichzeitig hat die Politisierung des Leidens eine Schattenseite: Die Position des Opfers wird zunehmend instrumentalisierbar. Daniel Burghardt schärft den kritischen Blick auf Leidenserfahrungen des (spät-)modernen Menschen.
Verlorenheit
Das Unbehagen steigt, Krisen sind in aller Munde und immer mehr Menschen fühlen sich heute fremd und verloren: Die vormalige Normalität des Lebens ist vorbei. Wo verbindliche Werte, die Verwurzelung in einer Gemeinschaft oder elementare Sicherheitsbedürfnisse keinen Ort mehr haben, steigt erst die Irritation, dann entwickeln sich zunehmend Angst, Aggressivität und Ressentiment.