Auf dem Weg in die abgeschottete Gesellschaft?
Das Fremde als Feindbild in der verunsichernden Dauerkrise?
Buchvorstellung und Diskussion mit Heidrun Friese und Ahmet Toprak
Veranstaltung zur Buchreihe Gegenwartsfragen
Wer einen Blick auf die europäischen Außengrenzen wagt, sieht sich gegenwärtig mit einer fatalen Logik konfrontiert: Klare Feindbilder, inhumane Grenzregime und die Illusion, »das Migrationsproblem« auf absehbare Zeit »lösen« zu können, verdichten das Momentum der Abschottung. Zehn Jahre nach der polarisierenden »Flüchtlingskrise« scheint das wenn überhaupt nur kurz geöffnete Fenster einer »Willkommenskultur« fest verschlossen. Im Angesicht kriselnder Wirtschaftsmodelle, europäischer Kriegsszenarien und technologischer Umwälzungen wird die ›Flucht nach Innen‹ zur Kernbewegung: Die grassierende und tiefgreifende Verunsicherung ganzer Bevölkerungen als wahrgenommener Angriff auf die eigene Sicherheit, das eigene Wertesystem und alle bisher tragenden Orientierungsmodelle mündet in Eindeutigkeiten und die Vorstellung autoritären Durchgreifens.
Wie spiegelbildlich setzt sich dieses Muster auch weit weg von den europäischen Außengrenzen fort: Beklagt werden Entsolidarisierung und fehlende Räume der Begegnung, verwahrloste »Stadtbilder«, Einigelung und Rückbesinnung auf die eigene Gruppe. Im Privaten, Traditionellen, Ritualisierten und Gewohnten scheint bei Vielen gegenwärtig das rettende Ufer zu liegen, während das Fremde, Herausfordernde und vielfach Disruptive – gerade mit Blick auf die Themen Migration und Integration – keine Verheißungen mehr bietet. Verlieren Gesellschaften in Krisenzeiten neben aller menschenrechtlichen Verantwortung auch die Grundlagen für ein offenes und zugewandtes Miteinander über das Bekannte hinaus?
Heidrun Friese und Ahmet Toprak stellen sich diesen umfassenden zeitdiagnostischen Fragen im Gespräch mit Simon Scharf.
Kostenfreie Online-Veranstaltung via Zoom:
https://us02web.zoom.us/j/83151169739?pwd=CtaHvDGJyfu2p2sbEV7qckdIi9B334.1
Meeting-ID: 831 5116 9739
Kenncode: 955463
Termin
10. Februar 2026, 19:00 Uhr
Die Bände des Abends
Das Ende der Menschenrechte
Wer darf zu uns kommen? Wer wird als illegal markiert? Wo verdichten sich Feindbilder? Heidrun Friese versteht derzeitige Migrationspolitiken als Teil eines Kriegsszenarios und zeigt deren innere Logik von Feindschaft und Todespolitik. Sie formuliert die existenzielle Frage nach der Universalität der Menschenrechte und plädiert für Verantwortung und Rechenschaftspflicht.
Toxische Männlichkeitsbilder in muslimischen Milieus
Autoritäre Erziehung und traditionelle Geschlechterrollen gehören in vielen muslimischen Familien zum Alltag. Im Konflikt zwischen familiärer Loyalität und gesellschaftlichen Erwartungen stehen gerade Jungen in Gefahr, sich zu radikalisieren und traditionelle Männlichkeitsnormen massiv überzuinterpretieren. Ahmet Toprak deckt diese toxische Dimension schonungslos auf und zeigt politische wie pädagogische Auswege.
Neue Buchreihe: Gegenwartsfragen
Die Menge akuter gesellschaftspolitischer Themen verlangt nach Orientierungshilfen. Unsere neue Buchreihe Gegenwartsfragen setzt hier an und schärft zeitdiagnostisch den Blick für das Hier und Jetzt. Sie hinterfragt den Status quo und erweitert gesellschaftspolitische Debatten um wichtige psychosoziale Dimensionen.
Die kurzen, eingängigen und gut lesbaren Diskussionsbeiträge beziehen kritisch Position, treiben die Auseinandersetzung mit den gegenwärtig wesentlichen Fragen kontinuierlich voran und sind damit in produktiver Weise irritierend.
Weitere Bände der Reihe:
Künstliche Intelligenz und Kränkung
Künstliche Intelligenz bringt psychosoziale Herausforderungen mit sich, insbesondere den Verlust der vermeintlichen menschlichen Einzigartigkeit, was unser Selbstbild als autonome Wesen infrage stellt. Karsten Weber beschreibt die Kränkung, die durch die Entwicklung und den Einsatz von KI verursacht wird. Exemplarisch erörtert er Übergänge und Verluste – und setzt sie in den Kontext anderer globaler Herausforderungen, denen die Menschheit aktuell und in absehbarer Zukunft gegenübersteht. Wie kann ein konstruktiver Umgang mit KI aussehen? Wie können wir mit den Herausforderungen, die KI an uns stellt, gut umgehen?
Swipe, like, love
Fast jede zweite Beziehung beginnt virtuell. Tinder, OnlyFans oder Instagram sind die Orte, an denen Annäherung stattfindet, Sex angebahnt wird und Beziehungen geführt werden. Johanna L. Degen spürt der Bedeutung der verschiedenen Phänomene von Onlinedating bis Social-Media-Nutzung vor dem Hintergrund der gängigen Theorien von Intimität, Liebe, Sexualität und Beziehung nach und wendet den aktuellen Forschungsstand sowie Erkenntnisse aus der therapeutischen und paartherapeutischen Praxis auf diese Kontexte an.
Zwischen Eskalation und Selbstkontrolle
Das Internet mutiert gegenwärtig scheinbar zur Enthemmungsmaschine. Das Unkontrollierte eines enthemmten Ichs ist ohne die Kehrseite – Hemmung, Verdrängen, Ausweichen und Zensieren – aber undenkbar. Jacob Johanssen hinterfragt kritisch, kenntnisreich und am Puls gegenwärtiger Debatten eine vielfach vorgebrachte Zeitdiagnose.
Elend und Emanzipation
Seit der Aufklärung gilt das mit Ungleichheit und Gewalt verbundene Leid als überwindbar. Die Befreiung aus dem Elend wird zu einem emanzipatorischen Projekt. Gleichzeitig hat die Politisierung des Leidens eine Schattenseite: Die Position des Opfers wird zunehmend instrumentalisierbar. Daniel Burghardt schärft den kritischen Blick auf Leidenserfahrungen des (spät-)modernen Menschen.
Healthismus
Friedrich Schorb legt die Schwachstellen eines schrankenlosen Gesundheitsdenkens in der Gesellschaft offen und zeigt, auf welche Weise die obsessive Beschäftigung mit Gesundheit selbst pathologisch geworden ist. Kritisch beleuchtet er dazu die kommerziell motivierten Heilsversprechen der Pharmaindustrie ebenso wie Gesundheitsreformen, die allein die Stärkung der Eigenverantwortung propagieren.
Die Zukunft des Alterns
Wie sieht das Altern in naher Zukunft aus? Frank Schulz-Nieswandt entwirft ein Zukunftsszenarium, das angesiedelt ist zwischen positiven, konkret-utopischen Hoffnungen des gelingenden Miteinanders und dystopischen Befürchtungen einer sich zuspitzenden Altersdiskriminierung. Als zentrale Aufgabe identifiziert er die Gestaltung einer nachhaltigen und effektiven Sozialraumentwicklung in der kommunalen Daseinsvorsorge.
Verlorenheit
Das Unbehagen steigt, Krisen sind in aller Munde und immer mehr Menschen fühlen sich heute fremd und verloren: Die vormalige Normalität des Lebens ist vorbei. Wo verbindliche Werte, die Verwurzelung in einer Gemeinschaft oder elementare Sicherheitsbedürfnisse keinen Ort mehr haben, steigt erst die Irritation, dann entwickeln sich zunehmend Angst, Aggressivität und Ressentiment.
Krise der Imagination
Öffentliche Debatte und Bildungslandschaft sind heute beherrscht von einem verarmten Denken – sichtbar am sprachlichen Pragmatismus, einer Gegenwartsfixierung und einer erregten Meinungsdemokratie. Roland Reichenbach setzt eine Denkform dagegen, die Tiefe hat, möglichkeitsorientiert ist und erzählerisch auf starke innere Bilder zurückgreifen kann.









