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Zeitschrift: Psychotherapie und Sozialwissenschaft
ISSN: 1436-4638
140 Seiten, Broschur, 148 x 210 mm
Erschienen: Juli 2005
Bestell-Nr.: 427
Leseprobe »Psychotherapie & Sozialwissenschaft«
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Psychotherapie & Sozialwissenschaft 1/2005: Die Sprache des Traumas

7. Jahrgang, 1/2005
21,40 €
Mit folgenden Beiträgen:

Gisela Thoma: Die Gestaltung traumatischer Erfahrungen im narrativen Prozess

Arnulf Deppermann & Gabriele Lucius-Hoene: Trauma erzählen - kommunikative, sprachliche und stimmliche Verfahren der Darstellung traumatischer Erlebnisse

Marius Neukom: Die Rhetorik des Traumas in Erzählungen. Mit der exemplarischen Analyse einer literarischen Eröffnungssituation

Heidemarie Weber, Linda Szirt, Matthias Nübling & Wolf Langewitz: Tag nach der ›schlechten Nachricht‹ Fallbeispiel eines Visitengesprächs zwischen Patient, Arzt und Pflegefachperson


Gisela Thoma: Die Gestaltung traumatischer Erfahrungen im narrativen Prozess, S. 7-33.
Zusammenfassung: In diesem Beitrag werden die Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung referiert, die der sprachlichen Darstellung und der Frage der Erzählbarkeit traumatischer Erfahrungen nachgegangen ist. Es wird gezeigt, dass psychische Traumata sexueller Übergriffserfahrungen auf der Ebene der Schriftlichkeit narrativ präsentiert werden können und als vollgültige Erzählinszenierungen das Vergangene im Hier und Jetzt aktualisieren. Neben erzählspezifischen, individuellen sprachlichen Ausformungen weisen die untersuchten Trauma-Narrative übergeordnete Gestaltungsmerkmale auf, die sich zum Geschichtentypus der Opferinszenierung konstituieren. Die festgestellte narrative Einbindung und die mehrheitlich kohärente und linearisierte Darstellungsweise der vergangenen Traumaerfahrung konstrastieren mit der Nicht-Erzählbarkeit und den zirkulären und fragmentarischen Sprachmustern, die in Zusammenhang mit dem Mitteilen von schweren Traumatisierungen - insbesondere von Holocaust-Erfahrungen - oft beobachtet und beschrieben werden. Dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass das Vermögen, traumatisch Erlebtes in Erzählform zu bringen, auch von der Struktur des Traumas abhängig ist. Der Beitrag schließt mit einer Erörterung aus psychodynamischer Sicht. Der aus den Trauma-Narrativen zu rekonstruierende intrapsychische Konflikt, der die erzählende Person zu bestimmten narrativen Ausgestaltungen veranlasst, beleuchtet das wechselseitige Verhältnis von Trauma und Konflikt.

Arnulf Deppermann und Gabriele Lucius-Hoene: Trauma erzählen - kommunikative, sprachliche und stimmliche Verfahren der Darstellung traumatischer Erlebnisse, S. 35-73.
Zusammenfassung: In der Literatur wird der sprachlichen Darstellung traumatischer Erlebnisse eine Schlüsselrolle sowohl als Diagnostikum für die Schwere des Traumas und seine Bewältigung als auch für den Prozess einer narrativen Therapie beigemessen. Angesichts dieser Einschätzung überrascht es, wie wenige detaillierte und linguistisch fundierte Untersuchungen zu sprachlichen Verfahren der Traumadarstellung existieren. Vor dem Hintergrund eines Forschungsüberblicks wird im Beitrag die Spannweite unterschiedlicher Verfahren der Darstellung traumatischer Erlebnisse explorativ sondiert. Dies geschieht anhand von vier transkribierten Traumadarstellungen, die aus einem linguistisch, gesprächsanalytisch und narratologisch ausgewerteten Korpus von zwölf Darstellungen traumatischer Erlebnisse (Kriegserlebnisse, schwere Unfälle, Tod der Eltern im Kindesalter etc.) ausgewählt wurden. Erzählstruktur und Dynamik, die sprachlichen und kommunikativen Strategien des Erzählers und seine prosodischen, stimmlichen und nonverbalen Ausdrucksphänomene werden daraufhin untersucht, wie mit ihnen systematisch die Betroffenheit durch das Trauma, seine subjektive Interpretation und seine Relevanz für die soziale Selbstpositionierung und -beziehungsgestaltung zum Ausdruck gebracht werden. Dabei werden wesentliche Unterschiede im diskursiven Umgang mit dem Trauma auf vier Ebenen deutlich: der Darstellbarkeit des traumatischen Erlebnisses überhaupt, der Darstellung von subjektiver Beteiligung und Agency in der Situation des traumatischen Erlebnisses, der Darstellung emotionaler Betroffenheit in der Erzählzeit und der Verhandlung selbst- und fremdbezogener moralischer Aspekte des Traumas (wie Schuld und Scham).

Marius Neukom: Die Rhetorik des Traumas in Erzählungen. Mit der exemplarischen Analyse einer literarischen Eröffnungssituation, S. 75-109.
Zusammenfassung: Erzählungen von Erlebnissen mit traumatisierender Wirkung transportieren Inhalte, die Aufsehen oder Entsetzen erregen; sie sind extrem, aussergewöhnlich, erschreckend oder beängstigend. Sobald ein Erzähler sich glaubhaft als ein Opfer präsentiert und eine Schädigung vorweist, entsteht beim Hörer oder Leser eine gewisse Nötigung, dieser Person zu glauben, sich mit ihr zu solidarisieren und alles zu vermeiden, was als »blaming the victim« ausgelegt werden könnte. Die soziale Immunisierung des Opferstatus bestätigt sich als Tendenz, die Positionen der Opfer und Täter, gerade im Zusammenhang mit sexuellen und historisch-politischen Traumata, auf Rezipientenseite eher eindeutig festzulegen. Die in der vorliegenden Arbeit präsentierte erzählanalytisch und psychodynamisch orientierte Erforschung der »Rhetorik des Traumas« untersucht, mit welchen sprachlichen Mitteln trauma-spezifische Kommunikation hergestellt wird. Sie analysiert Erzähltexte von potentiell traumatisierend erlebten Ereignissen hinsichtlich der in ihnen angelegten Rezeptionsmechanismen und reflektiert damit den mit dem Thema »Trauma« verbundenen moralischen Druck. Zuerst wird aufgezeigt, wie die Rhetorik des Traumas erforscht werden kann. Mit der Analyse des Beginns von Binjamin Wilkomirskis Buch »Bruchstücke. Eine Kindheit 1939-1948« (1998) wird die Thematik anschließend vertieft.


Heidemarie Weber, Linda Szirt, Matthias Nübling und Wolf Langewitz: Tag nach der ›schlechten Nachricht‹. Fallbeispiel eines Visitengesprächs zwischen Patient, Arzt und Pflegefachperson, S. 111-136.
Zusammenfassung: Das Überbringen von »schlechten Nachrichten« erfordert von Ärzten viel Fingerspitzengefühl und das Geschick, sich in die Wirklichkeit ihrer Patienten hineinzuversetzen, um individuell aufkommende Besorgnisse und Ängste angemessen zu beantworten. Pflegefachpersonen übernehmen in diesem Zusammenhang häufig eine Vermittlerfunktion. Sie sind öfter beim Patienten und auch näher, bedingt durch die tägliche Pflege, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, Eindrücke über deren psychische Verfassung zu erhalten. Inwieweit diese Eindrücke bei der Visite thematisiert werden und ob die von den Pflegenden wahrgenommene Befindlichkeit vom Arzt aufgegriffen und angesprochen wird, ist von zentraler Bedeutung für diesen Artikel. Denn, wie aktuelle Untersuchungen zeigen, hat das Ansprechen von Gefühlen der Patienten einen geringen Stellenwert bei Visitengesprächen. Daneben fehlen den Professionellen häufig diejenigen kommunikativen Kompetenzen, die dafür notwendig wären. Gründe dafür sind in kommunikativen Barrieren zu finden, im Respekt vor den Statusunterschieden oder in organisatorischen Problemen. Der vorliegende Artikel zeigt anhand einer Fallgeschichte, wie die Professionellen mit den Gefühlen einer Patientin umgehen, die tags zuvor mit einer schlechten Nachricht konfrontiert wurde, und unter welchen Bedingungen der Austausch stattfindet. Durch die Reflexion der Visitenteilnehmer wird erkennbar, weshalb sie dieses Visitengespräch als gelungen erleben. Die Fallgeschichte stammt aus einer größeren Visitenuntersuchung am Universitätsspital Basel, bei der neben quantitativen Daten auch vertiefende qualitative Analysen zur anschaulicheren Darstellung von Visitengesprächen stattfanden. Aus der Perspektive aller Teilnehmer werden nicht nur Mängel, sondern auch gelungene Aspekte der Kommunikation beleuchtet.