Manfred Riepe

Das Ornament der Maße. Gustav Theodor Fechners Bedeutung für die Psychoanalyse Sigmund Freuds

Psyche, 2002, 56(8), 756-789

Der Einfluss des Psychophysikers Gustav Theodor Fechner auf das Denken S. Freuds gilt als wissenschaftshistorisch gesicherte Tatsache. Demgegenüber wird gezeigt, dass die Bedeutung Fechners für die psychoanalytische Theoriebildung ein rezeptionsgeschichtlicher Mythos ist: Zwischen beiden Denkern besteht - trotz identischer Begrifflichkeiten - eine grundsätzliche Inkompatibilität. Fechners Schwellenkonzept und seine Anwendung des Weberschen Gesetzes zur ... [ mehr ]

Hartmut Radebold

Psychoanalyse und Altern oder: Von den Schwierigkeiten einer Begegnung

Psyche, 2002, 56(9-10), 1031-1060

Obwohl über 60-Jährige einen großen und ständig wachsenden Anteil der Gesamtbevölkerung darstellen, deren Lebenszeit vermutlich noch ein weiteres Drittel umfasst, hat sich die psychoanalytische Theorie und Praxis bisher kaum mit dem Altern als Teil des Lebenszyklus auseinandergesetzt. Anhand von ausgewählten Forschungsergebnissen wird gezeigt, dass die Phasen des Alterns als reguläre Bestandteile der Entwicklung während des gesamten ... [ mehr ]

Marion Michel Oliner

Die innere Welt der »schlechten« Mutter

Psyche, 2002, 56(5), 442-459

Aus psychoanalytischer Perspektive wird die innere Welt der schlechten Mutter beschrieben. Es handelt sich dabei um Mütter, die sich mit Selbstanklagen quälen, schlechte Mütter zu sein und den eigenen Kindern eher zu schaden als gut zu tun. Die Bemutterung der gemeinsamen Kinder überlassen sie bereitwillig den mütterlich-fürsorglichen Vätern. Der zugrundeliegende Konflikt wird in einer unbewussten Phantasie erkannt: Das Kind ... [ mehr ]

Michael Niehaus

Was ist ein Geständnis? Rodion Raskolnikow und der »Geständniszwang« in der Psychoanalyse

Psyche, 2002, 56(6), 547-571

Eine Annäherung an die Frage, was ein Geständnis ist, wird versucht, indem die Figur des Rodion Raskolnikow in Dostojewskis Roman Schuld und Sühne vor dem Hintergrund der psychoanalytischen Konzeption des Geständniszwangs von Theodor Reik analysiert wird. Es zeigt sich, dass die psychoanalytische Theorie des Geständniszwangs einen blinden Fleck aufweist: Sie vermengt das eigentliche Geständnis als Sprechakt gegenüber einer staatlichen ... [ mehr ]

Dietmut Niedecken

Zur Selbstreferenz des Bewußtseins. Oder: Wie konstituiert sich das Subjekt einer Szene?

Psyche, 2002, 56(9-10), 922-945

Daniel Sterns Auffassung einer primären psychischen Abgegrenztheit des Säuglings von seiner Umwelt wird kritisch hinterfragt. Diese Auffassung wird mit D. W. Winnicotts Konzept einer vorgängigen Erfahrung der Ungeschiedenheit kontrastiert. Anschließend wird Alfred Lorenzer diskutiert, der mit seiner Theorie der Interaktionsformen als leib-seelische Gebilde die Vorstellung einer ursprünglichen Subjekt-Objekt-Trennung aufgibt und zugleich die Grenze ... [ mehr ]

Marius Neukom

Verloren im Labyrinth »postmoderner« Sprachspiele? Lesarten eines Mikrogramms von Robert Walser

Psyche, 2002, 56(12), 1197-1226

Es wird informiert über einen Versuch, die Wirkung eines literarischen Textes psychoanalytisch zu erforschen. Ein einzelner Mikrogrammtext von Robert Walser wurde je sieben Lesern und Leserinnen vorgelegt, die dann nach ihren spontanen Reaktionen auf die Lektüre befragt wurden. Der Rahmen einer halbstrukturierten, konfrontierenden Interviewsituation provozierte sehr persönliche Reaktionen auf den Text, die daraufhin untersucht wurden, inwiefern sie als ... [ mehr ]

Ulrich Moser

Traum, Poesie und kognitive Grammatik

Psyche, 2002, 56(1), 20-75

Unter ständigem Rückgriff auf Ergebnisse der Traumforschung und der dort gewonnenen Begriffe (Mikrowelt, kognitive Elemente, Features, place) werden kognitive Prozesse und deren affektive Regulierung in der Poesie erörtert. Übergeordnetes Ziel ist dabei die Entwicklung einer kognitiven Grammatik . In Analysen von Gedichten P. Jaccottets und B. Oleschinskis, vor allem aber Paul Celans wird die Tragfähigkeit des Forschungsansatzes zur Diskussion ... [ mehr ]

Renee Meyer zur Capellen

Das Maß der Gefühle. Gedanken zu Heinrich von Kleists unvollendetem »Guiskard«

Psyche, 2002, 56(6), 526-546

Anhand der Aspekte Ödipus-Vorlage, Bedeutung der Pest, Verhüllung und Enthüllung, Tod, Grausamkeit und Triumph sowie sprachliche Symbolisierung wird der Frage nachgegangen, warum Heinrich von Kleist am Guiskard , nach eigener Einschätzung sein wichtigstes Werk, scheiterte. Der Grund wird vor allem in der Unerfüllbarkeit von Kleists maßlosen Gefühlen und Begierden und in der zu starken Identifizierung des Autors mit seinem Helden gesehen. ... [ mehr ]

Thomas Mattonet

Und Freud erblaßte ... Kulturpsychoanalytische Überlegungen zu einem Geburtstagsgeschenk

Psyche, 2002, 56(12), 1227-1241

Mitglieder der Mittwoch-Gesellschaft schenkten Sigmund Freud zu seinem 50. Geburtstag eine Medaille. Eine anlässlich der Medaillenübergabe aufgetretene Gefühlsanwandlung Freuds findet in der Literautr eine Deutung als Ausdruck positiver Gefühle. Eine auf der Medaille zu findende, bisher nicht beachtete Fehlleistung ist Ausgangspunkt zu kulturpsychoanalytischen Überlegungen. Diese führen vor dem Hintergrund von Freuds kulturtheoretischem Konzept ... [ mehr ]

Wolfgang Leuschner

Über den Visualisierungszwang bei der Traumbildung

Psyche, 2002, 56(3), 303-308

Die Bildhaftigkeit von Träumen und die klinisch und experimentell häufig nachgewiesene Verbildlichung von primär nichtvisuellen Tagesresten wird damit erklärt, dass die motorischen Kerne der inneren Augenmuskeln im Gegensatz zu jenen der äußeren Gesichts- und Körpermuskeln während REM nicht deaktiviert sind. Im Sinne eines arousals wirken diese auf die optische Sphäre zurück und begünstigen damit auf autonome Weise ... [ mehr ]

Anna Elisabeth Landis

Die ICD-10 und die Frage nach den natürlichen Krankheitseinheiten bei psychischen Erkrankungen

Psyche, 2002, 56(7), 630-656

Ausgehend von der Untscheidung zwischen einer klassifizierenden Diagnostik, die Krankheitserscheinungen wie mit sich selbst identische Naturgegenstände behandelt, und einer konzeptualisierenden Diagnostik, die den Menschen als mit sich selbst identisch und zugleich als von sich selbst unterschieden fasst, wird die atomisierende ICD-10- und DSM-IV-Diagnostik kritisiert. Es wird ihr die psychodynamische Diagnostik entgegengesetzt, die sich aus Vergangenheits-, ... [ mehr ]

Robert Heim

Der geklonte Doppelgänger. Vom Humanismus der Psychoanalyse im »Menschenpark«

Psyche, 2002, 56(11), 1122-1146

Vor dem Hintergrund von Peter Sloterdijks umstrittener Elmauer Rede geht der Autor zunächst Assoziationslinien im Kontext von Heidegger, Beaufret und Lacan nach. In Lacans Analyse des Spiegelstadiums macht er das Motiv des Doppelgängers sichtbar als Symbol für die konstitutionelle Verfassung des Ichs samt der damit gegebenen Destruktivität. Um deren Erklärung geht es auch René Girard mit seinem Begriff des mimetischen Wunsches . Im Licht ... [ mehr ]

Wolfgang Hegener

Die Ur-Verführung und das verlorene Objekt - Zum Modell der Einschreibung des Triebs in der Theorie Freuds

Psyche, 2002, 56(8), 721-755

In Anlehnung an die Arbeiten von Jean Laplanche wird für eine Neubewertung der Triebtheorie von S. Freud plädiert. Entgegen der weitverbreiteten Ansicht, dass die Trieblehre veraltet ist, sollen ihre unausgeloteten Potentiale herausgearbeitet werden. Grundlegend für diese Lektüre ist die Unterscheidung zwischen Instinkt und Trieb. Dieser ist weder als eine nicht weiter ableitbare biologisch-endogene Realität noch als eine bloße ... [ mehr ]

Nathan G. Hale

Ein kritischer Blick auf Freuds Kritiker

Psyche, 2002, 56(4), 369-395

Nach einer Zusammenfassung der wesentlichen Kritikpunkte der Freud- Basher widerlegt der Historiker Hale vor allem die von F. Crews, A. Esterson, P. Swales, M. Macmillan und J. Kerr angeführten Argumente. Seine gründliche Analyse erschüttert die Seriosität der Revisionisten: Es wird deutlich, dass diese erstens zu pauschalen Behauptungen neigen, die durch Vermutungen oder durch verkürzte bzw. aus dem Zusammenhang gerissene Zitate belegt sind, dass ... [ mehr ]

André Green

Die zentrale phobische Position - mit einem Modell der freien Assoziation

Psyche, 2002, 56(5), 409-441

Unter der Bezeichnung der zentralen phobischen Position wird ein Geisteszustand in der analytischen Sitzung beschrieben, der durch eine an Manifestationen des Negativen gebundene Störung des Assoziationsgeschehens gekennzeichnet ist. Die Destruktivität konzentriert sich auf die eigenen psychischen Prozesse des Subjekts und realisiert dabei ein Verleugnung der psychischen Realität des Patienten durch sich selbst. Die zentrale phobische Position sucht durch ... [ mehr ]

György Gergely

Ein neuer Zugang zu Margaret Mahler: normaler Autismus, Symbiose, Spaltung und libidinöse Objektkonstanz aus der Perspektive der kognitiven Entwicklungstheorie

Psyche, 2002, 56(9-10), 809-838

Margaret Mahlers Forschungen zur psychischen Entwicklung des Menschen wurden von Entwicklungstheoretikern und Säuglingsforschern einer scharfen empirischen, theoretischen und methodologischen Kritik unterzogen. Obgleich in der Regel gerechtfertigt, unterschlägt diese Kritik nach Ansicht des Autors kreative Einsichten Mahlers. Unter Rückgriff auf Begriffe und Befunde der neueren kognitiven Entwicklungstheorie werden diese Einsichten neu formuliert. So wird ... [ mehr ]

Peter Fonagy & Mary Target

Neubewertung der Entwicklung der Affektregulation vor dem Hintergrund von Winnicotts Konzept des »falschen Selbst«

Psyche, 2002, 56(9-10), 839-862

Anhand einer Theorie des sozialen Biofeedbacks wird die zentrale Rolle der Affekte und der Affektregulation für die Entwicklung des Selbst konzeptualisiert. Dabei wird deutlich gemacht, dass frühe Bindungserfahrungen und spezifische Spiegelungsprozesse die Affektregulation, die Mentalisierung sowie die Selbstentwicklung, die Fremdwahrnehmung und die interaktionellen Kompetenzen fördern. Anhand von empirischen Befunden wird belegt, wie kongruentes bzw. ... [ mehr ]

Dieter Flader

Der Witz als sozialer Vorgang und als Ausdruck von Subjektivität

Psyche, 2002, 56(3), 275-302

Neben dem Traum, der Fehlleistung und dem neurotischen Symptom nutzte S. Freud bekanntlich auch den Witz als Nachweis des Unbewussten. Freuds Theorie des Witzes wird eine weitere Dimemsion zur Seite gestellt: Während für Freud der eigentliche Witz ein textliches und sprachliches Bedeutungsphänomen ist, wird der Witz auch als ein sozialer Vorgang, als ein Prozess sprachlichen Handelns und als einen Kommunikationsprozess mit je subjektiven Strukturen ... [ mehr ]

Antonino Ferro

Interpretation, Dekonstruktion, Erzählung oder die Beweggründe von Jacques

Psyche, 2002, 56(1), 1-19

Eine narratologische Theorie der Psychoanalyse wird vorgestellt, wie sie in Italien unter dem Einfluss des psychoanalytischen Konstruktivismus Wilfred Bions sowie der Feldtheorie Kurt Lewins in der Fassung der argentinischen Psychoanalytiker M. Baranger und W. Baranger entwickelt wurde. Anhand mehrerer Fallvignetten demonstriert der Autor seine Behandlungstechnik, bei der konarrative Transformationen an die Stelle von Deutungszäsuren treten: Der Analytiker meidet ... [ mehr ]

Martin Dornes

Ist die Kleinkindforschung irrelevant für die Psychoanalyse? Anmerkungen zu einer Kontroverse und zur psychoanalytischen Epistemologie

Psyche, 2002, 56(9-10), 888-921

Es wird Stellung genommen zur Kontroverse zwischen André Green und Daniel Stern über die Relevanz bzw. Irrelevanz der Kleinkindforschung für die Psychoanalyse. Diese Kontroverse behandelt ein grundsätzliches Problem: Ist die psychoanalytische Theorie zu ihrer Weiterentwicklung auf den Kontakt zu Nachbardisziplinen angewiesen und ist ein solcher deshalb wünschenswert? Oder ist sie eine autonome Disziplin, welche die im klinischen Setting ... [ mehr ]

Anna Buchheim & Horst Kächele

Das Adult Attachment Interview und psychoanalytisches Verstehen: Ein klinischer Dialog

Psyche, 2002, 56(9-10), 946-973

Das Adult Attachment Interview (AAI) kann durch seine komplexe, textnahe Auswertung den Blickwinkel des Analytikers erweitern: Das Wissen um die Verarbeitung bindungsrelevanter sowie traumatischer Erlebnisse erscheint im therapeutischen Prozess als besonders hilfreich, um diese Erfahrungen angemessen zu registrieren. Nach einer Gegenüberstellung von Bindungstheorie und Psychoanalyse und bindungstheoretischen Annahmen zur Entwicklung von Pathologie wird in der ... [ mehr ]

Karola Brede

Freud als Beobachter. Die Fallstudie »Bruchstück einer Hysterie-Analyse«

Psyche, 2002, 56(3), 213-246

S. Freud wird als Beobachter und sozialer Akteur eingeführt, der einen Erkenntniszugang zu rätselhaften Krankheitserscheinungen seiner Zeit sucht. Die klassische Krankengeschichte über Dora stellt sich von daher als Entdeckung von Psychischem an der Grenze des in seiner Zeit über Sexualität Reflektierbaren dar. Besonders hervorgehoben an dieser Fallstudie wird ihre wissenschaftlich-literarische Form. An ihr werden formale Kriterien entwickelt, die ... [ mehr ]

Werner Bohleber

Kollektive Phantasmen, Destruktivität und Terrorismus

Psyche, 2002, 56(8), 699-720

Aus psychoanalytischer Perspektive werden Überlegungen zu den Überzeugungen und Motiven der Täter des 11. September 2001 angestellt. Eine zentrale Rolle spielt dabei der ideologisch-religiöse Faktor, der jene Verbindung von narzisstischem Idealzustand und terroristischer massenmörderischer Gewalt zu stiften scheint. Nach allgemeineren Betrachtungen zum Zusammenhang von Religion, Reinheit und Gewalt wird die religiöse Weltanschauung und ... [ mehr ]

Yigal Blumenberg

»Vatersehnsucht« und »Sohnestrotz« - ein Kommentar zu Sigmund Freuds Totem und Tabu

Psyche, 2002, 56(2), 97-153

Vor dem Hintergrund des Briefwechsels zwischen S. Freud und S. Ferenczi wird Freuds Werk Totem und Tabu als ein Text interpretiert, der eine doppelt bestimmte Trauerarbeit zu leisten versucht: zum einen aufgrund der Trennung von C. G. Jung als dem inaugurierten Nachfolger bzw. Sohn und zum zweiten - ausgelöst durch die Auseinandersetzung mit den von Freud erlebten antisemitischen Ressentiments Jungs und der Züricher Schule - als innere bzw. selbstanalytische ... [ mehr ]