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20 Seiten, PDF-E-Book
Erschienen: November 2024
Bestell-Nr.: 23608
https://doi.org/10.30820/0341-7301-2024-4-343
»Behindertenpädagogik«
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Kristina Kraft

Kontextualisierende Aktenanalyse (PDF)

»Berichterstattung aus zweiter Hand« neu lesen

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Mit Blick auf Unterstützungsnotwendigkeiten von als »komplex behindert« geltenden Menschen geht die Autorin davon aus, dass Ausdrucksformen des so benannten Personenkreises – wenn diese als »Problemverhalten« oder ähnlich defizitär markiert werden – alternativ erklärt und verstanden werden können als Isolationskompensation. Mit letzterem wird auf das Erklärungspotential der Rehistorisierenden Diagnostik abgehoben. Allerdings stellt die Rekonstruktion von Isolations-Verhältnissen und deren psychische Kompensation, als Konkretum einer individuellen Entwicklungsgeschichte, besonders dann eine Herausforderung dar, wenn der betroffene Mensch zu aktuellen und früheren Isolations-Vorkommnissen grundsätzlich nicht aussagefähig und zu den ihm zugemuteten Widerfahrnissen nicht befragbar erscheint. Zugleich ist sein Alltag, z.B. in einer stationären Wohngruppe, vielfach von wiederkehrenden Extremsituationen bestimmt, in denen – zugespitzt formuliert – auf sein mitunter extrem wirkendes und zugleich unverständlich bleibendes Ausdrucksverhalten (gleichwohl rasch interpretiert als »Autooder Fremdaggressionen«) mit extremen Unterbindungsmaßnahmen (bis hin zu »Fixierungen«) reagiert wird. Verengungen, Stereotypien und Chronifizierungen im diagnostischen Blick und im pädagogischen Handeln zeigen sich immer dann, wenn in einem auf die »Person fokussierten individualisierten Blick […] die gesellschaftlichen Kontexte außen vor« bleiben (Wesselmann, 2022, S. 69). Somit haben wir uns über die soziale Entwicklungsgeschichte einer Person zu informieren, in der es von der Qualität der jeweiligen Antwortverhältnisse abhing, ob isolierende Bedingungen zu Isolationsfolgen, d.h. zu schwerwiegenden Behinderungserfahrungen geführt haben (Steffens, 2020, S. 279). Für einen ersten Rekonstruktions-Zugang der je konkreten Isolationsverhältnisse und -auswirkungen können Akteninformationen dienen. Allerdings sind sie als Berichterstattung aus zweiter Hand anzusehen, da insbesondere im besagten Feld unterschiedliche Fremdurteile die Akteninhalte dominieren. Dadurch wird ein (unkommentiertes) Zusammenstellen von vorgefundenen »Fakten« nicht ausreichend sein. Die Frage ist, wie wir uns – wenn wir uns den in einer Akte gesammelten Fremdurteilen zuwenden – einen Übergang von entnommenem Beschreibungswissen hin zu einem kontextualisierenden Erklärungswissen erarbeiten können. Dazu wird skizzenhaft ein Informationsordnungsrahmen vorgestellt, der vorschlägt, wie Aktenfakten mit (neuen) Fragestellungen zu verbinden sind.

Abstract:
With regard to the need for support for people considered to be »complexly disabled«, the author assumes that forms of expression of the group of people named in this way – if they are labelled as »problem behaviour« or similarly deficient – can be alternatively explained and understood as compensation of isolation. Constrictions, stereotypes and chronifications in the diagnostic view and in pedagogical action are always evident when, in an »individualised view focused on the person […] the social contexts are left out« (Wesselmann, 2022, p. 69). Thus, we have to inform ourselves about the social development history of a person, in which it depends on the quality of the respective response relationships whether isolating conditions have led to isolation consequences, i.e. to serious experiences of disability (Steffens, 2020, p. 279). File information can be used for an initial reconstruction of the specific isolation conditions and effects. However, it must be regarded as second-hand reporting, as different external judgements dominate the contents of the files, especially in the field in question. As a result, an (uncommented) compilation of »facts« found will not be sufficient. The question is how – when we turn to the external judgements collected in a file – we can work out a transition from extracted descriptive knowledge to contextualising explanatory knowledge. To this end, a sketch of an information organisation framework is presented that suggests how file facts can be linked to (new) questions.