Hans-Dieter König
Die Holocaust-Überlebende und der grinsende Neonazi. Tiefenhermeneutische Rekonstruktion einer Szenensequenz aus dem Bonengel-Film »Beruf Neonazi« (PDF)
psychosozial 61 (1995), 13-25
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Die kontrovers diskutierte Frage, ob der Film »Beruf Neonazi« von W. Bonengel eine aufklärerisch wirksame Dokumentation darstellt oder ob er in politische Werbung für den Nationalsozialismus zurückfällt, bildet den Ausgangspunkt für eine tiefenhermeneutische Rekonstruktion. Dabei wird der Film anhand jener Szenensequenz analysiert, in der eine serbische Holocaust-Überlebende unter dem Eindruck ihrer leidvollen Erfahrungen in Tränen ausbricht und der portraitierte Neonaziführer Althans sich darüber lustig macht. Über die Analyse irritierender szenischer Konstellationen wurden in der Gruppeninterpretation die ambivalenten Gefühle zugänglich, mit denen die Studentinnen und Studenten auf die doppelbödige Struktur der Filmsequenz reagierten. Während es auf der manifesten Bedeutungsebene darum ging, dass die Teilnehmer Mitgefühl für die von ihrem Schmerz eingeholte Serbin empfanden und mit Wut auf das Lachen von Althans reagierten, wurde im Zuge der szenischen Interpretation zur Sprache gebracht, dass auf die Holocaust-Überlebende auch mit Ärger reagiert und für Althans, der so einen kühlen Kopf bewahre, auch Sympathie empfunden wurde. Es wird die Ansicht vertreten, dass diese negativen emotionalen Reaktionen darauf verweisen, was normalerweise nicht thematisiert wird: Die Tatsache nämlich, dass die Serbin mit dem Grauen des Holocaust konfrontiert, der nicht nur betroffen macht, sondern auch Angst weckt, die durch emotionale Distanzierung, wenn nicht gar durch Unwillen oder Ärger abgewehrt werden kann. Der heftige Streit um den Film wird damit erklärt, dass die Zuschauer sich dieses Medienangebot auf unterschiedliche Weise aneignen: Während diejenigen den Film gutheißen, die sich probeweise mit Althans identifizieren, um zu verstehen, was es heute bedeutet, ein Neonazi zu sein, sind diejenigen empört, die sich im Zug ihrer Identifikation mit den Opfern des Holocaust darüber entrüsten, dass Althans den Film zur Bühne für Auftritte macht, im Zuge derer er noch einmal verbal die Gewalt ausübt, die den Opfern von den Nazis tätlich zugefügt wurde.
Stichworte: Faschismus, Holocaust-Überlebende, Filme (Unterhaltung), Emotionale Reaktionen, Ethnische und nationale Diskriminierung, Radikalismus (Politik), Nationalismus, Hermeneutik
Keywords: Fascism, Holocaust Survivors, Motion Pictures (Entertainment), Emotional Responses, Race and Ethnic Discrimination, Political Radicalism, Nationalism, Hermeneutics
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